Die rollende Bäckerei Krüger

 



Während ab den 1950ern in der BRD die Wirtschaftswunderjahre ihren Höhepunkt erfuhren und in der " SBZ ", also der DDR, die Zwangskollektivierung der Wirtschaftszweige voran schritt, versuchte sich so mancher Selbständige irgendwie über Wasser zu halten. Auch in diesen so genannten Boomjahren gestaltete sich das berufliche Abenteuer einer selbständigen Tätigkeit nicht dadurch einfacher, weil die westdeutsche Volkswirtschaft zeitweise zweistellige Wachstumsraten vorweisen konnte.

Zu jener Zeit entwickelte sich eine Handels - und Verkaufsform, die als rollender Laden umschrieben werden kann. Die noch eineinhalb Dekaden davor auf Kriegsgerät eingerichtete Automobilindustrie stelle sich - nicht gerade überraschend -  sehr schnell um und produzierte nunmehr unter anderen auch Klein - Fahrzeuge für den zivilen Transport. Die sahen zunächst wie ungelenke Fossile aus einem Zukunftsfilm aus.

Zu den Herstellern von so genannten Kleinnutzfahrzeugen gehörte neben der Firma " Hanomag ", " DKW " und " Lloyd " oder  vor allem  " Volkswagen " , auch das in Hamburg ansässige " Tempo - Werk ". 

Eine Auswahl und zusammenfassende Übersicht ist hier nachzulesen:

https://de.wikipedia.org/wiki/Hanomag#:~:text=1950%20war%20mit%20dem%20Hanomag,und%20wurde%20bis%201960%20gebaut.


https://de.wikipedia.org/wiki/Lloyd_(Automarke)

https://de.wikipedia.org/wiki/Lloyd_LT


https://oldtimer-veranstaltung.de/2015/12/kleintransporter-der-50er-jahre/


Jene Kleinnutzfahrzeuge aus Hamburg wurden vornehmlich - eher wohl ausschließlich - für den Binnenmarkt hergestellt. Die Stückzahl jener Modelle war deshalb sehr überschaubar. Das traf auch für das Model des " Tempo Hanseat " und dessen Nachfolgern " Matador " sowie " Wiking " ( verhohnepipelt als  " Fischmaul " ) zu.


https://de.wikipedia.org/wiki/Vidal_%26_Sohn_Tempo-Werk

https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Tempo-Auf-drei-Raedern-durch-die-Zeit-des-Aufbruchs,tempowerk100.html

Einen " Tempo " - Hanseat, der zu einem Verkaufswagen umgebaut wurde, besaß in jenen Jahren der in Bad Eilsen ansässige Bäckermeister Krüger. Dessen Backstube sowie Verkaufsstelle befand sich damals in der dortigen Bahnhofsstraße. Da die Einwohner zum Teil schon betagt waren, somit der Fußweg zu seinem Geschäft häufig sehr beschwerlich ausfiel, entschloss sich Bäcker Krüger mit einem rollenden Verkaufsstand seine Waren vor deren Haustüren anzubieten.

So fuhr er nach seiner Tätigkeit in der Backstube, die bereits am frühen Morgen begann, von Montag bis Samstag die verschiedenen Straßen des Ortes sowie der Nachbargemeinden nach einem von ihm festgelegten Zeitplan ab. Seine Ankunft verkündete er durch das Bimmeln mit einer Handglocke.

In die Feldstraße, wo vormals das elterliche Haus lag, kam Bäcker Krüger an jeden Donnerstag sowie Samstag. Das Ritual nach seiner Ankunft war nahezu gleich. 

Bäcker Krüger bimmelte nach dem Aussteigen aus seinem fahrenden Verkaufsstand mehre Male mit seiner goldfarbenen Handglocke, ging um seinen Transporter herum, öffnete die Heckklappe, zog zwei seitlich vorhandene Metallstützen heraus, arretierte diese oberhalb der geöffneten Heckklappe, begab sich dann wieder zur Fahrerkabine, quetschte sich dann durch einen winzigen Spalt zwischen der Sitzbank und der mit Regalen voller Backwaren gestellten Ladefläche und bot dort in gebückter Haltung Brot, Weißbrot oder Brötchen zum Verkauf an.

Bäcker Krüger mochte Kinder. Deshalb hatte Bäcker Krüger bei seinen Kundenfahrten immer eine Lederumhängetasche bei sich, in denen er Sahnebonbons hineingefüllt hatte. Kamen Kinder mit an seinen Verkaufswagen, öffnete er die Tasche und gab jedem ein Bonbon in die Hand. Das war für uns damals eine willkommene Abwechselung aus der ansonsten Süßigkeiten armen Kindheit. Weil auch Sahnebonbons von " Storck " Geld kosteten, wurden wir Kinder eben kurz gehalten.

Dafür gab es aber neben dem rollenden Einkaufsladen des Bäcker Krüger, auch einen von dem " Edeka " - Geschäft Beißner, das sich in der Friedrichstraße in Bad Eilsen befand.

    

  https://draft.blogger.com/blog/post/edit/8221564797470254880/6470994945359559278

Eines Nachmittags bimmelte Bäcker Krüger vor den Haustüren in der Feldstraße. Als wir dann freudig zu seinem Verkaufswagen liefen, um das Sahnebonbon zu erhalten, hatte mein - nicht selten - zu forscher Bruder die Idee, sich bei dem gerade verkaufenden Mann selbst aus der Ledertasche zu bedienen. Er griff in die Tasche, wollte sich sofort ein Sahnebonbon heraus nehmen und sofort essen. Bäcker Krüger reagierte darauf etwas hitzig. Er klopfte meinem Bruder auf die Finger. Bruder Klaus - Dieter erschrak, begann zu schreien und weinend fortzulaufen.

Nun, Bäcker Krüger tat diese Strafaktion ein wenig leid. Er ging hinter meinen Bruder, der zwar selten so ein Schisser wie meine Schwester und ich war, sich dann aber doch hinter der Haustür versteckte, entschuldigte sich bei ihm und unserer anwesenden Großmutter und gab meinem Bruder gleich zwei Sahnebonbons.

Meinem Bruder war es dennoch eine Lehre. Er versuchte nie wieder in die Bonbontasche zu grapschen. 

Die Jahre verflossen. Wir wurden älter und größer und hatten vollkommen andere Interessen. Bäcker Krüger war deshalb nicht mehr interessant, auch dann nicht mehr, als er statt des " Tempo " - Verkaufswagens einen nagelneuen " Matador " des Hamburger Autobauers fuhr. 

Ab Mitte der 1960er Jahre übergab Bäcker Krüger seinen Betrieb an einen in Obernkirchen tätigen Konkurrenten, die Bäckerei Achter. Der baute Krüger´s Backstube um und fuhr nun auch mit einem blauen " VW - Bulli " vor. 

Sahnebonbons aus einer Ledertasche gab es jedoch nicht mehr. Der neue Bäcker Achter hatte dafür weder Zeit, noch wären genügend Kinder in der Feldstraße gewesen, die sich über eine solche Aufmerksamkeit gefreut hätten. Die Zeiten hatten sich nämlich längst geändert. Auch für das Geschäftsmodell der rollenden Bäckerei. 

Einige Jahre nach der Geschäftsübernahme durch die Achter Bäckerei wurde der Lieferdienst mit dem Kleintransporter dann eingestellt. Inzwischen gab es einige Supermärkte, in denen Backwaren erhältlich waren. Die Bewohner in Bad Eilsen und Umgebung besaßen zudem einen PKW, der zum Einkauf genutzt wurde. Aber auch die Qualität der Backartikel war mit der aus der dem Betrieb von Krüger nicht vergleichbar. Eine Reihe von einstigen Kunden sprang deshalb ab und kaufte woanders.


GRANADA  -  Sieptembre  -   España Año 75 -  1975:

  


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