Die Sportfelgen des " Kiwi " Wynton Rufer



Draußen regnete es. Es ist eben Herbst. Was will da ein durchschnittlicher Mitteleuropäer erwarten? Regen, Wind und kühlere Tage zählen schon immer zum deutschen Herbst, so, wie das Schmuddelwetter zu Bremen. Das liegt bekanntlich an der Weser und die macht dort einen großen Bogen. An dem wiederum das Weserstadion liegt. Dort spielt seit der Gründung der Fußballbundesliga ( BuLi ) im Jahr 1963 der Sport - Verein " Werder " von 1899 e.V. mit einem Jahr Unterbrechung ( Abstieg 1978 ) ununterbrochen bezahlten Fußball.

In der Ära von Trainer Otto " König Otto der I. von Bremen " Rehhagel einst sehr erfolgreich. Zu den vielen Spielern und späteren Nationalspielern, die der SV Werder Bremen hervor gebracht hat, zählte von 1989 bis 1994 auch der Neuseeländer Wynton " Kiwi " Rufer.

https://de.wikipedia.org/wiki/Wynton_Rufer

" Kiwi " war einst ein Instinkt - Fußballer, der nicht mit der antrainierten Lauferei, durch das Auspacken der so genannten " Blutgrätsche " oder sich Unterordnen in irgendwelchen taktischen Firlefanz, hervor stach, nein, er zeigte jene Qualitäten, die einen heraus ragenden Stürmer auszeichnen müssen: Er war zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle des Platzes, zumeist im und unmittelbar vor dem generischen Strafraum anwesend. Wenn er selbst keinen Ball auf und öfters in das dortige Tor bugsierte, dann spielte er mindestens einen guten, vielleicht den viel beschrieen, finalen Pass, der dann durch einen Mannschaftskollegen zum Erfolg führte.

Weil " Kiwi " aber auch sonst, also außerhalb des Platzes, Mobilität zeigen sollte, erhielt er über seinen Arbeitgeber, den SV Werder Bremen, einen PKW zur Verfügung gestellt. das war überall üblich. Es gehörte zu der Wohlfühlkultur des jeweiligen Vereinsumfelds. Natürlich waren es damals, so zu Beginn der 1990er Jahre, keine Ferrari, Maserati oder Rolls Royce, die waren auch damals viel zu teuer, sondern über das in Bremen angesiedelte Mercedes Werk orderte der Verein eine Sportausführung des in Bremen - Sebaldsbrück montierten E 320 T CDI. Die vormalige Edelkarosse besaß natürlich Sportfelgen, die nicht nur eine ästhetische Glanzleistung der Designer und wohl auch Konstrukteure aufzeigten, sondern vor allem sündhaft teuer waren.

Was heutzutage den größten Arbeitgeber und mutmaßlich Steuerzahler der Freien und Hansestadt Bremen ausmacht, ein riesiges Werksgelände, ein Stadtteil im Stadtteil einer Großstadt, war einst noch überschaubarer. Trotzdem hatte das Bremer Mercedes - Werk bereits mehrere Tausend Beschäftigte. Und eine Vielzahl davon waren Auszubildende und spätere Werksmitarbeiter. Hiervon wiederum ein erklecklicher Teil türkische Jugendliche, die dort diverse Berufe erlernen wollten.

Doch nicht jeder einstige Azubi wurde und konnte nach erfolgreichem Berufsabschluss von der Daimler Benz AG übernommen werden. So auch zwei jener vier Jugendlichen nicht, die sich danach zunächst arbeitslos melden mussten, um vom Amt vermittelt zu werden. Weil es nach dem zu dieser Zeit noch einschlägigen Arbeitsförderungsgesetz keine Leistungen in Form von Arbeitslosengeld oder eventuell Arbeitslosenhilfe gab, wohnten jene zwei jungen Männer noch bei Mutti. Die beiden anderen waren Gymnasiasten.

Nun, das Quartett kam wohl - der Langeweile der beiden Ex - Mercedes - Azubis geschuldet - eines Tages auf die glorreiche Idee, ihren kargen Lebensunterhalt mittels krimineller Aktivitäten aufzubessern. Sie stahlen deshalb Autozubehör und Ersatzteile. Nicht nur jene der Nobelmarke Mercedes, sondern auch solche, sonstiger, eher als Durchschnittshersteller zu bewertender Anbieter.

Eines Tages erhielt das Quartett über einen bei Mercedes malochenden Landsmann den Tipp, dass eben " Kiwi " Rufer einen teuren Daimler als Sport - und wohl auch Luxusausführung geliefert bekommen hatte. Die dazu gehörenden Sportfelgen wollte der Informant, der selbst ein einfaches Mercedes Modell fuhr, das er als Werksangehöriger verbilligt kaufen konnte, sich gerne irgendwann wohl auch zulegen. Und so kamen die vier Kleinkriminellen auf die Schnapsidee, des " Kiwis " Luxus - Mercedes zu stehlen, um die Felgen abzumontieren und an jenen Landsmann zu verscherbeln.

So fuhr das Quartett zum Bremer Weserstadion und lungerte dort herum, wo zur damaligen Zeit die Werder - Profis für gewöhnlich ihren Fuhrpark hatten. Sie erspähten den Luxus - PKW von " Kiwi " und notierten sich das Kennzeichen. Die vier Strategen warteten nun bis zum nächsten Auswärtsspiel des Vereins ab. Da die Mannschaft dann entweder bis dem eigenen Bus fuhr und die Fahrzeuge der Kicker dann auf dem Parkplatz vor dem Weserstadion verblieben, konnten das Quartett dann an einem Freitagabend den Mercedes des Neuseeländers mittels Universalschlüssels öffnen. Einer der jungen Männer fuhr das mitgenommene Fahrzeug des Daimler - Mitarbeiters, dem sie zuvor das Märchen erzählten, dass sie eine günstige Quelle kennen würden, wo es die begehrten Sportfelgen gäbe. Die Montage müsse jedoch selbst vor Ort vorgenommen werden. Der Landsmann glaubte diesem Humbug und überließ den Männern seinen Mercedes.

Seelenruhig fuhren diese zum Werder - Parkplatz, öffneten " Kiwis " Daimler und fuhren mit diesem hinter dem zweiten Mercedes in Richtung Flughafen davon. Es war längst dunkel, so dass die beiden Fahrzeuge nicht weiter auffielen. Dann allerdings begangen die vier Gelegenheitsdiebe einen entscheidenden Fehler. Sie fuhren mit den beiden Karossen in Richtung Grolland. Dorthin, wo die Großstadt eher ländlich, überschaubar und weniger anonym ist. Dort hielten sie die beiden Fahrzeuge auf einem entlegenen Wirtschaftsweg, entnahmen aus diesen die beiden Wagenheber und wechselten zunächst die Bereifung an den Vorderachsen um. An " Kiwis " Schlorren befand sich alsbald der erste Reifen des anderen Daimlers. Bei jener Umtauschaktion benötigte das Quartett allerdings genügend Licht und so ließen die vier Männer das Abblendlicht an dem weiteren Wagen brennen.
Das war ein zweiter Fehler.

Aus der Ferne beobachtete ein auf seinem Hof herum hantierender Landwirt die Szenerie und wunderte sich dann doch, dass zwei Autos zur späten Stunde auf dem Wirtschaftsweg parkten und dabei das Licht brannte. Ihm kam das ganze Herumgelaufe mehrerer Personen, die er in den Scheinwerferkegeln zwar nur schemenhaft erkennen konnte, aber als Personengruppe ausmachte, dann doch neuseeländisch vor.
Der Bauer informierte die einst in der Nähe gelegene Polizeistation, das Grollander Revier und die rückten mit einer Armada von Streifenwagen aus.

Der weitere Ablauf war klar: Das Quartett wurde auf frischer Tat ertappt. Die Männer mussten zunächst auf die Polizeidienststelle und wurden dort befragt. Als sich durch eine telefonische Halteranfrage herausstellte, wem der Luxus - Daimler gehörte, liefen die Polizeibeamten zur Höchstform auf. Es wurden Skizzen von dem Auffindungsort der PKW gefertigt, ellenlange Protokolle getippt und später sogar noch eine ganze Lichtbildmappe der vorgefundenen PKW angefertigt.

Als einer der türkisch - stämmigen Heranwachsenden einige Wochen später mich in meinem Büro in der Haststedter Heerstraße aufsuchte und mir eine Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung vorlegte, staunte ich nicht schlecht. Vorgeworfen wurde ihm gemeinschaftlicher, schwerer Diebstahl und versuchter Diebstahl zum Nachteil von Wynton " Kiwi " Rufer.

Nee, näh! Ich ließ ihm eine Vollmacht unterzeichnen und besorgte mir einige Wochen danach die Ermittlungsakte von der Staatsanwaltschaft Bremen. Darin befand sich bereits eine Anklageschrift, denn es waren vier Heranwachsende, die nach dem Jugendstrafrecht behandelt werden sollten.

Irgendwann danach nahm ich mir den Deliquenten in meiner Kanzlei zur Brust. Was er denn mit diesem Unsinn erreichen wollte? Wie er denn auf diese Schnapsidee gekommen sei, die Karre von " Kiwi " Rufer zu klauen? Und warum er denn mit seinen Kumpanen nur die Reifen stehlen wollte?

Darauf wusste er dann doch keine Antwort.

Wir klaubten uns eine Geschichte zusammen, die ich in Absprache mit meinen Kollegen, denen ich die anderen drei Mandaten zugeschustert hatte, dann in einem abgestimmten Schriftsatz an das Jugendgericht vortrug und dort die Einstellung des Verfahrens gegen eine Auflage, beantragte. Alle Angeklagten räumten die Taten ein, die aus einer Laune heraus und weil sie nur mit " Kiwis " Luxus - Schinken mal fahren wollte, dann aber die Spezial - Sportfelgen plötzlich so toll fanden, begangen worden seien.

Später erhielt ich eine Einstellungsmitteilung nach §§ 45, 47 JGG. Der einst in den Strafrechtsseminar an der Bremer Uni mir beigebrachte Fachbegriff nennt sich " Diversion ". Und ganz vage erinnerte ich mich daran, dass es eine solche Verfahrensweise gibt. Schließlich war ja kein Schaden entstanden, denn dem " Kiwi " Rufer wurde sein Gefährt alsbald wieder ausgehändigt. Und, der Werder - Profi hatte keinerlei Ambitionen, diese Sache an die große Glocke zu hängen. Er war nämlich damit beschäftigt, für den SV Werder Tore zu schießen und Titel zu gewinnen. Was kümmern ihn da Sportfelgen an seinem Mercedes?

Die Kostenrechnung in der Strafsache bezahlten später die Eltern des jungen Mandanten. Sie waren heilfroh, dass dieser mit einem blauen Auge davon gekommen war und jetzt eine Arbeit als Aushilfe in einem Jugendfreizeitheim erhalten hatte, wo er die 50 Stunden gemeinnützge Arbeit abzuleisten hatte.

Merke also: " Wo kein Geschädigter, da kein Richter und wo ein belesener Verteidiger, da keine Strafe. "

Ich besuchte nach wie vor die Heimspiele von Werder. Und immer, wenn der leider viel zu früh verstorbene Stadionsprecher und Radio Bremen - Moderator Christian Günther die Mannschaftsaufstellung unseres " ruhmreichen " SV Werder zelebrierte, dabei den Namen und die Rückennummer von Wynton " Kiwi " Rufer erklingen ließ, brüllte ich natürlich mit. Wenn die übrigen Zuschauer damals gewusst hätten, was ich dabei dachte, sie hätten mich fragend angestarrt. Eigentlich hieß Wynton seit jenem Vorfall bei mir nur noch " Felgen  - Rufer "!

Mark Langem mit " One Way Street ":
















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