Im Sonderzug nach Berlin



Bein sonntäglichen Frühstück echauffierten wir uns wieder über den Unsinn, der ab heute geltenden Mitteleuropäische Sommerzeit ( MESZ ). Ab Montagmorgen bis zum 28. Oktober 2018  bedeutet dieses nämlich noch früher aufstehen. Das erinnerte mich sofort an meinen Aushilfs - und Semsterferienjob in den 1970er Jahren bei der Glasfabrik H. Heye in Obernkirchen, als die Frühschicht ab 4.00 Uhr begann. Eine Qual, eine einzige Tortur, selbst für mich, der ich ein eingefleischter Frühaufsteher bin.

Und wie ich so über jene studentischen Zeiten in der Fabrik schwadronierte, erzählte meine bessere Hälfte, das Frühstücksei und ein Brötchen vertilgend, über ihr Arbeitsleben an der Akademie für Wissenschaften ( AdW ) in der Stadt mit den drei " O ", nämlich Karl - Marx - Stadt, zu jener Zeit.

Dabei schilderte sie mir, wie sie Montagmorgens mit einem Sonderzug, der vom Hauptbahnhof abfuhr, dann zu einer Dienstbesprechung in der Zentrale nach Berlin zu fahren hatte. Das in Karl - Marx - Stadt eingerichtete Institut für Mechanik war vormals der Zentrale in Berlin angegliedert, so wie die anderen 58 Institute mit insgesamt 22.000 Wissenschaftlern auch.

https://de.wikipedia.org/wiki/Akademie_der_Wissenschaften_der_DDR

Und just von dieser Fahrt in die Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik berichtete sie mir bereits einige Male. Es waren Schilderungen von Erlebnissen, die den eher tristen Alltag vieler DDR - Bürger skizzierten. Da kamen erneut die betrunkenen Bauarbeiter vor, die von Karl - Marx - Stadt aus in die Hauptstadt in einem Sonderzug kutschiert wurden, damit sie hier die Vorzeigeobjekte der Staats - und Parteiführung möglichst eindrucksvoll und zügig umsetzen konnten.

Diese Herren waren privilegiert. Sie erhielten einen angestammten Sitzplatz, während andere Zuginsassen sich wie Ölsardinen auf den engen Gängen des Sonderzuges zusammen quetschen mussten. Sie zählten eher nicht zu der Arbeiterklasse, die von der Speerspitze der Arbeiterklasse, nämlich den in Berlin Regierenden hofiert wurden. Während die betrunkenen Exponenten des selbst ernannten Arbeiter - und Bauernstaates sich fleißig alkoholische Getränke hinein kippten, dabei wüste und obszöne Sprüche kloppten, blieben die anderen Fahrgäste eher ruhig. Die sozialistisch gebrieften Herrn Bauarbeiter stiegen dann zu ihren Baustellen hin schwankend aus dem Sonderzug aus. Zur Arbeit waren sie in diesem Zustand dann wohl eher nicht mehr fähig; dafür durften sie allerdings am Donnerstagabend mit einem weiteren Sonderzug wieder in die geliebte Heimat zurück.

Der real existierende Sozialismus in DDR - Prägung, hatte mit seiner Plan - und Mangelwirtschaft auch noch weitere Schattenseiten. Die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Konsumgüter war nicht nur schlecht, sie verschlechterte sich von Jahr zu Jahr zusehends. Das galt allerdings nicht für die Hauptstadt Berlin. Hier versuchte die Staatsführung möglichst viel Geld hinein zu pumpen, um Ost - Berlin gegenüber den es besuchenden Schwestern und Brüdern aus dem Westteil bzw. der BRD und dem Ausland in einem strahlenden Licht zeigen zu können. das galt sodann auch für die Versorgungslage bei Lebensmitteln.

So wurde denn meine Frau von ihren Kollegen mittels Bestellzettels gebeten aus den in Ost - Berlin reichlich vorhandenen " Hortex " - Läden, jene Lebensmittel zu besorgen, die es in dem fernen Karl - Marx - Stadt und auch anderswo nicht gab,  weil sie als Exportwaren in den Goldenen Westen abgeschoben, dort ordentlich harte Devisen einspielten. 
 
Mit einem Rucksack und Beuteln bestückt, begab sich meine bessere Hälfte dann nach der routinemäßigen Arbeitsbesprechung in den nächst gelegenen " Hortex " - Laden, um dort jene Lebensmittel einzukaufen, die es in der " Provinz " sehr oft gar nicht und nicht mehr gab. Dazu zählten die schmackhaften " Spreewald Gurken ", " Letcho ", " Eberswalder Würstchen " und Champignons.
Schwer bepackt begab sie sich zum Bahnhof und stieg dann in Karl - Marx - Stadt aus dem Zug wieder aus, wo bereits ein kleines Grüppchen von Kolleginnen auf sie wartete, um die bestellten Waren in Empfang nehmen zu dürfen. Die dann aus dem Raumwunder mit der Bezeichnung Rucksack sowie den Tragetaschen in die aufnahmebereiten Hände übergeben wurden.

Der DDR lässt sich hierzu vieles nachsagen. Sie hielt ihre Bevölkerung unter Verschluss, sie zensierte und bespitzelte die eigenen Staatsbürger mit allen erdenklichen, technischen Mitteln, aber sie ließ keinen von den Eingesperrten verhungern, verdursten und obdachlos oder arbeitslos werden. Letzteres war schon deshalb nicht möglich, weil es aus der DDR - Verfassung heraus, eine allgemeine Arbeitspflicht und sich zudem aus dem Strafgesetzbuch der DDR ergibt, dass eine " asoziale " Lebensführung zu einer Bestrafung durch die Justiz führen kann (  https://de.wikipedia.org/wiki/§_249_StGB_der_DDR ).

Dennoch war die Versorgungssituation im Bereich der Lebensmittel wohl eher als mangelhaft zu bewerten. Eine Mangelwirtschaft indes lässt nicht gerade das Vertrauen in die staatlichen Organe wachsen. Zudem hatte die vielseitige Propaganda durch staatlichen Institutionen dazu beigetragen, dass der Westen als ein Paradies betrachten wurde.
Obwohl eine ständig angestrebte Verbesserung in der Lebensmittelversorgung eher eine Wunschvorstellung der SED - Führung blieb, gab es immerhin weitere Möglichkeiten sich über das " Intershop " - und " Delikat " - Verkaufssystem dann und wann andere, als in den " Konsum " - Läden angebotene Waren zu besorgen. Allerdings benötigte der DDR - Bürger dazu DM als Zahlungsmittel oder musste horrende Preise dafür akzeptieren.

Auf einigen Seiten im Netz werden jene einstigen Mangelzustände noch gern wieder in Erinnerung gerufen:

https://www.forum-ddr-grenze.de/t12718f45-Welche-internationale-Spezialitaeten-gab-es-in-der-DDR-zu-kaufen-2.html


Tja, und während wir in trauter Zweisamkeit uns über vergangene Zeiten unterhielten, ich dabei als Zugezogener aus dem " Goldenen Westen " aus meinem eigenen Wissensfundus dabei durchaus einen Beitrag leisten konnte, sah ich auf unseren reichhaltig gedeckten Frühstückstisch. Da lagen - appetitlich auf separaten Tellern gelegt - einige Wurstsorten, Käsescheiben sowie Tomaten. Es gab neben schmackhaften Bohnenkaffee aus dem Automaten, das Frühstücksei, selbst gemachte Marmeladen, Honig, Milch, Zucker, Salz, Margarine und Butter. Ein durchaus üppiges Frühstück, dass mich sehr schnell das Ärgernis der " geklauten " Stunde Nachtruhe durch die Sommerzeitumstellung vergessen ließ.

Auch damals, noch vor deren Einführung ( auch in der DDR ) zum 6. April 1980, gab es bei mir in der einstigen Studentenbude ein Frühstück. Es bestand aus zwei Scheiben Toastbrot, einem Ei, Margarine und einem Glas billiger " Aldi " - Marmelade aus " Ostfriesentee " aus einer Kanne. Ich musste deshalb genauso wenig hungern, wie meine bessere Hälfte damals im anderen Teil Deutschlands, hatte aber eben mangels Geld eben kein üppiges Frühstück. Doch der Unterschied lag eben darin, dass es im Golden Westen schon damals beinahe alle Lebensmittel gab, die in der DDR als Luxuswaren hätten betrachtet werden müssen.
Und später sogar von dort in den " Co op ", " Plaza " oder " Brema " - Filialen und auch beim " Lestra ". just jene DDR - Artikel, für die meine Frau vormals von Karl - Marx - Stadt nach Berlin und zurück fahren musste, um sie zu erhalten. Im Bauarbeiter - Sonderzug, der im Namen des real existierenden Sozialismus, die privilegierte Klasse umsonst fahren ließ.

Nicht alles in der DDR war schlecht, doch sehr vieles ausbesserungsbedürftig, weil es mehr als nur ein Verteilungsproblem gewesen sein musste, dass die Mangelwirtschaft entstehen ließ.
Seit Beginn der 1990er Jahre fährt der Sonderzug nicht mehr und auch sonst hat sich die Welt radikal verändert - im Namen des Kapitalismus?



" Sendelica " - " The Return Of The Maggot Brain " - 2014:






Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

" Eine Seefahrt, die ist lustig. " - nur nicht in den 60er Jahren zum AOK - Erholungsheim auf Norderney.

" Oh Adele, oh Alele, ah teri tiki tomba, ah massa massa massa, oh balue balua balue. " und die Kotzfahrt nach Wangerooge.

Was ist eigentlich aus dem Gilb geworden?