Wer hat an der Uhr gedreht?


Zweiter Morgen der verordneten Sommerzeit im 18. Jahr des 3. Jahrtausend nach christlicher Zeitrechnung. Eintrag in das Blog - Buch:

Der Wecker des Handys klingelte, wie jeden Morgen, um 5.30 Uhr. Ich schälte mich, noch reichlich verschlafen und ohne richtige Orientierung aus dem Bett. Nur mühsam fand ich meine Sandalen, nach denen ich zunächst mit dem rechten, dann mit dem linken Fuß, in der Dunkelheit stocherte. Ich schlurfte in ihnen zur Schlafzimmertür. Vor der - bitte Vorsicht, nicht treten! - der große Kater Felix auf dem Teppich lag. Mit einem eleganten Spreizschritt stieg ich über den " Katzenbrocken " herüber. Der Dicke, wie ich ihn auch  oft liebevoll nenne, rührte sich nicht vom Fleck. Ich öffnete die Zwischentür zum Treppenhaus und wäre gleich wieder zurück gekehrt.
Hier war es kalt. Arschkalt, sogar!

Die Heizung war am Sonntag ausgegangen, weil ich den letzten Sack Holzpellets verfeuerte hatte. Beim " toom ", oben, an der " Gompitzer Höhe " gab es keine Pellets in den 15 Kilogramm - Säcken mehr. " Saisonware ", brabbelte sich die eher unfreundliche Kassiererin in dem tiefsten Dresden Dialekt in ihren " Bart ", als ich danach fragte.

So blieb es im Haus seit Montagmorgen eben kalt. Ich stieg, noch richtig müde, die Treppenstufen herauf. Oben erwartete mich Kater Nummer 3, der Vielfraß mit dem Namen Tim " Timmy " - Gustav und mauzte mich gleich an. Ich schlich zunächst ins Bad. Dort stand ein Ölradiator, den ich am Montagmorgen noch vom Boden in das kleine Badezimmer hinein gewuchtete hatte. Der funktionierte wenigstens. Und so war es im Bad auch eher überschlagen, wie es einst bei unseren Großeltern so schön hieß.

Ich zog meine Klamotten an, darunter gleich zwei Pullover. So gut für die lausig kalte Küche gewappnet, verließ ich den handwarmen Raum und knipst das Licht in der Küche an. Brrrrrrrh! Ich sah auf das Digitalthermometer - mich traf der Schlag! Sagenhafte 13,2 Grad plus. Ich drehte den Backofen im  " Smeg " - Herd an. Volle Pulle = 240 Grad Celsius mit Umluftfunktion. Doch der Herd blies zunächst nur kalte Luft in den kalten Raum. So bibberte ich Minute für Minute vor mich hin. Selbst ein maschinengebrühter Kaffee konnte mich vorerst nicht erwärmen.

Ich schaltete das Radio ein, setzte mich an den Küchentisch und stierte durch das Fenster in die Dunkelheit. Nachdem uns eine ganze Stunde des Morgens abgeknöpft wurde, ist es dort draußen wieder finster geworden. Jetzt, um 5.30 Uhr MESZ.

Ich machte mich an mein all morgendliches Werk und wischte zunächst die Platte des Holz - Küchentisches ab, legte drei " IKEA " - Untersetzer darauf und stellte einen weiteren Kaffeepott hinzu. Es folgten: Messer, Teelöffel, ein Eierbecher, eine " Bunzlauer " - Schale, in der später das Haferflocken - Obst - Gemisch zurecht gemacht wird, ein Glas Honig, ein Glas selbst gemachte Marmelade usw. 
Und während das Frühstücksei im elektrischen Kocher vor sich her dampfte, hörte ich im Radio, dass die EU, England, Australien und andere Länder, die russischen Diplomaten vorübergehend des Landes verwiesen haben.
" Idioten! Die haben bislang keine Beweise vorgelegt. ", dachte ich und ließ die " Jura " ein zweites Mal einen Pott Kaffee aufbrühen.

Mit dem Kaffeepott in der rechten Hand fingerte ich nach den Äpfeln in der Obstschale. Eigentlich war es meine Absicht, die beiden Äpfel zu zerteilen und in die Plastedose zu legen, damit meine bessere Hälfte ihr zweites Frühstück bekommt. Doch gleich der erste Apfel wollte nicht, so wie ich es wollte und fiel mir aus der Hand. Er prallte an meinen linken Fuß ab und kullerte unter die " IKEA " - Anrichte. Ich hörte genau, wie er bis zur Fußbodenleiste rollte und erst dort zu stoppen war. " Sch...! "

Ich bückte mich und griffelte nach dem widerborstigen Apfel. Dann wusch ich ihn unter der Brause der Küchenarmatur erneut ab. Obst muss man nämlich ordentlich abwaschen, ehe man es isst. Das kannte ich noch aus meiner Kinder - und Jugendzeit. Plötzlich fielen mir weitere Erlebnisse aus jenen Tagen ein, in denen ich - längst schulpflichtig - zusammen mit meinen beiden jüngeren Geschwistern an elterlichen Küchentisch saß und ab 7.00 Uhr meine zuvor gekochten Haferflocken mit " Kaba " und einer Messerspitze " guter Butter " in mich hinein schaufelte. Die " Köln " - Flocken waren zart, sehr schmackhaft, aber dafür auch vergleichsweise teuer. Der einzige Luxus, den ich mir erlaubte, von unseren Eltern einzufordern.

Ansonsten lief das Frühstück unter der fürsorglichen Oberaufsicht unserer verstorbenen Mutter immer nach dem gleichen Ritual ab. Meine Schwester trank eine Tasse Kakao, später war es dann Tee, mein Bruder ebenso und ich bekam meine gekochten Haferflocken. Meine Schwester hatte die " schlechte " Angewohnheit, die Brotreste hinter ihrer Tasse zu verstecken, weil sie - als Morgenmuffel - die letzten Bissen nicht herunter würgen konnte. Mein Bruder - ebenfalls ein ausgewiesener Morgenmuffel vor dem Herrn - sprach in der knappen Viertelstunde Frühstückszeit kein Wort. Dafür plärrte im Hintergrund das alte Röhrenradio Marke " Blaupunkt " oder " Nordmende, das die Eltern zum Ende der 1950er Jahre für damals sehr viel Geld gekauft hatten, die Unterhaltungsmusik des " Deutschlandfunk ".

Dazwischen ertönten die Feldwebel artigen Kommandos in Form eines Frage - und Antwortspiels unserer Mutter. " Hast du dein Pausenbrot gemacht / eingesteckt? ", " Hast du deinen " Kaba " ausgetrunken / dein Brot gegessen? " oder " Hast du deine Schulsachen im Ranzen? ".
Wenn Muddern, einige Jahre später bei der LVA ihre Frühschicht ab 6.00 Uhr anzutreten hatte, musste das Frühstück oder Aufsicht ausfallen und wir uns selbst versorgen, denn unser Vater - er war Maurer - fuhr bereits ab 6.30 Uhr vom Hof auf die Baustelle.
In dieser Zeit -  wir waren alle drei längst Teenager - jammerte kein Röhrengerät mehr das Programm des Propagandasenders ( West ), des Deutschlandfunk aus Köln, sondern es ertönten die Beat - und Popmusikklänge des WDR 2, NDR 2 oder - soweit der Empfang es zuließ - von Radio Bremen.
Das anerzogene Ritual blieb indes das gleiche. Pünktlich Aufstehen. Pflicht erfüllen und die Befehle des Hauptfeldwebels und des väterlichen Stellvertreters umsetzen.

Auch wenn die Müdigkeit noch in den jungen Knochen lag, so galt das eherne Gesetz der Pflichterfüllung ( norddeutsch: " Wat mutt, dat mutt! " ). Und egal, ob um 4.00 Uhr die Nacht zu Ende war, weil die Aushilfsmaloche auf der Glashütte wartete. um 6.30 Uhr das Aufstehen und zur Schule gehen angesagt war, mit dem Klingeln des Weckers oder der mütterlicherseits gestellten Pseudo - Frage: " Stehst du auf? ". die Erwartungen des Funktionierens waren voll umfänglich zu erfüllen. Das bedeutete aber gleichzeitig auch, es wurden keine - noch so kleinen - Abweichungen von dem Tagesprogramm geduldet.

Wehe, das müde Kind, der noch müde Teenager, zeigte, dass er / sie müde war. Ein solches, unbotmäßiges Verhalten wurde, noch auf dem Fuß, mit einem Wortschwall, einer Kanonade von Vorwürfen und Begriffen, wie " Pass doch auf! Du bist ein alter Drom!  ( gemeint war das Dromedar als lebendes Beispiel der Langsamkeit des irdischen Seins ) " oder mittels leistungssteigernder Halbdrohungen " Ich schaller dir gleich Eine! " sanktioniert.

Frühstück in den frühen Morgenstunden als erzieherisches Instrument der elterlichen Fürsorgepflichten in den 1950er bis 1970er Jahren war jedoch kein spezifisches Alleinstellungsmerkmal des elterlichen Haushalts, sondern eine allgemein ( sowohl in Ost als auch in West ) Form der Durchsetzung der geltenden Unter - Überordnung in Familie und Gesellschaft.

Nun, weniger soziologisch fort geführt, erinnerte ich mich doch mit einem leichten Grinsen an jene Sturm - und Drangzeit als ich den zuvor fallen gelassen Apfel fein säuberlich in sechs Teile zerschnitt, das Kerngehäuse und die Blüte sowie den Stiel entfernte und in eine Tupperware legte. Die frühmorgendliche Langsamkeit, die Trägheit der eingebauten, biologischen Uhr trotzend, stellte ich die restlichen Utensilien auf den Holztisch. Dazu trank ich Schluck weise den zweiten Pott Kaffee aus.

Die Sportnachrichten auf MDR aktuell waren gerade beendet als ich wieder auf die Uhr sah. 5.45 Uhr. Ich tapst vorsichtig die Treppenstufen herunter. Im Haus war es mit Ausnahme der Küche noch stockdunkel. Ich knipste den Lichtschalter an und ging ins Schlafzimmer. Meine bessere Hälfte wurde wach. " Es ist dunkel draußen und hier scheißkalt! ", sagte ich zu ihr. " Ich muss heute Pellets holen! ", fügte ich hinzu.
Dann stellten wir gemeinsam fest: " Scheiß Sommerzeit! Bringt doch nix!"

Doch: Es wurde an der Uhr gedreht und uns eine Stunde vom schönen Morgen geklaut. Nur: Wer hat daran gedreht?



" Ten Years After " - " Convention Prevention " - " Rock & Roll Music To The World " - 1972:

















   

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