Das sind dann 23, 3 Meter pro Stunde
Die Deutsche Post hat ja schon wesentlich bessere Zeiten erlebt. Einst galt sie, neben der Bundesbahn und der Bundeswehr zu den Flaggschiffen des Öffentlichen Dienstes. Die meisten Mitarbeiter in wichtigen Funktionen wurde durchweg verbeamtet. Damit war für jene einst Privilegierten vollkommen klar, dass sie nie arbeitslos werden konnten. Auch sonst hatte das Beamtentum einige Vorteile.
Diese Privilegien sind sicherlich auch ein Anreiz gewesen, wenn sich ein Postbediensteter als Vertreter eines Staatsunternehmens verbeamten ließ. Aus der gesamten Trägheit eines solchen Arbeitsumfelds heraus entsteht eine spezifische Form von Trägheit im Denken, was zu einer unumstößlichen Inflexibilität des Handelns führen kann.
Dieses Manko setzte sich auch innerhalb des Staatsunternehmens Deutsche Bundespost fest.
Dieses und vieles mehr zu ändern zu wollen schrieb sich der Bundespostminister Prof. Dr. Christian Schwarz - Schilling in seine Agenda, die er innerhalb seiner Amtszeit ab 1982 konzipieren ließ. Der gebürtige Innsbrucker musste sich aber schnell den Realitäten unterordnen. Dennoch quälten sich seine Mannen aus dem aufgeblähten Ministerium für " Post - und Telekommunikation " durch allerlei Unbill innerhalb des Staatsapparats, den er " privatisieren " wollte. Das gelang ihm - zwar mehr schlecht als recht - bis zum Ende seiner Amtszeit 1992.
https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Schwarz-Schilling
In dieser Zeit kam ich beinahe wöchentlich mit dem Staatsapparat Deutschen Bundespost in Kontakt, was damit auch so manchen Konflikt mit Bediensteten / Beamten jenes Ungetüms nach sich zog.
Aus jenem Wust von gebliebenen Erinnerungen fischte ich kürzlich eine Lachnummer heraus, die zum Ende der 80er - Dekade eine Zeit lang meine dunkelsten Gedanken rund um die Existenz des beruflichen Seins beeinflussten.
Den Anlass dazu gab eine Kurzmeldung, wonach die " privatisierte " Post die Standardbriefe erst ab dem 3. Tag nach dem Einwurf oder der Abgabe in einer Filiale zustellen möchte. Für jenes Ansinnen benötigt der dienstleistende Gigant - weil eben nur bedingt privatwirtschaftlich funktionierend - eine Gesetzesänderung.
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/verbraucher/post-zwei-klassen-zustellung-briefe-101.html
Es geht - warum wundert dieses nicht - um den schnöden Mammon, die Penunsen, die klingende Münze. Wer also ein teuren " Prio - Brief " ( wieder so ein Begriff aus dem Sortiment des verklärenden Geldeinsammel - Instrumentariums ) aufgibt, bekommt dafür die nicht uneingeschränkte Garantie, dass dieser am folgenden Tag dem Adressaten zugeht.
Boah, was für ein Service?
Tatsächlich aber wäre dieser Umweg zur Verbesserung des Postservices nichts anderes als eine verkappte Preiserhöhung jener der Post AG gesetzlich aufoktroyierten Verpflichtung auch die antiquierte Form der zwischenmenschlichen Kommunikation aufrechterhalten zu müssen. Staatsauftrag ist eben auch eine Form von Verpflichtung. Und schließlich ist der feste Glaube an den Weihnachtsmann oder den Osterhasen als anti - christliche Symbolik der deutschen Leitkultur noch immer in vielen Köpfen fest verankert, womit sich die Notwendigkeit heraus arbeiten lässt, diesen vor den hohen Festen in schriftlicher Form einen Wunschzettel bzw. einen freundlichen Gruß schriftlich zukommen zu lassen. Diese Briefzustellung garantiert die Deutsche Post AG allemal.
Das war eben auch zum Ende 1980er Jahre der Fall.
In jener Zeit quälten meine Ex - Studienkollege und ich uns als zugelassene Rechtsanwälte durch das Gestrüpp der bremischen Jurisprudenz. Dieser - vor allem finanzielle - Drahtseilakt mündete oft darin, dass sich so mancher aussichtslose Fall unter den wenigen Mandaten befand. Was zu einem ständigen Kontotiefstand führte, der sich wiederum auf die Motivation bei der täglich Berufsausübung auswirkte.
So kam denn eines guten Tages ein weiterer Hungerleider aus dem ständigen subproletarisch - akademischen Umfeld in unser Büro, um mir sein Leid zu klagen. Er hatte gegen einen Ablehnungsbescheid zu seinem Antrag auf Befreiung von den Rund - und Fernsehgebühren zunächst selbst Widerspruch eingelegt und danach Klage erhoben. Als das Verwaltungsgericht ihn aufforderte, die Klage zu begründen, war er offensichtlich mit dem Latein am Ende.
Er erschien deshalb in unserem Büro übergab mir den Ablehnungs - und Widerspruchsbescheid von Radio Bremen und unterschrieb mir eine Vollmacht.
Wie nicht selten in solchen Fällen, kam der Mandant kurz vor knapp. Ich legte also gleich los und versuchte die von ihm zu Protokoll der Geschäftsstelle eingereichte Klage irgendwie zu begründen und tippte den Schriftsatz selbst in die " Olympia "- Schreibmaschine. Dann fertigte ich drei Kopien des schriftlichen Sermons an und legte eine davon in die angelegte Handakte. Nachdem ich den Brief frankiert hatte, warf ich ihn in den zirka 50 Meter vom Büro entfernten Briefkasten. Es war Freitagabend. Demnach sollte der Schriftsatz bis spätestens Montagmorgen bei dem Verwaltungsgericht, das vormals am Altenwall 5 die Diensträume hatte, eingehen.
Doch es kam anders.
Nach einigen Tagen erhielt ich eine Mitteilung, in der ich informiert wurde, dass die Klagebegründung einen Tag zu spät, nämlich erst am Dienstagmorgen eingegangen sei. Dazu wurde ich um Stellungnahme gebeten. Das war ärgerlich, denn es verursachte Mehrarbeit. Ich musste einen Wiedereinsetzungsantrag stellen und diesen nicht nur begründen, sondern die dortigen Angaben beweisen.
So ein Mist! So etwas passte mir überhaupt nicht.
Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, heftete ich das Schreiben ab und notierte mir in dem Fristenheft, dass ich innerhalb von 14 Tagen den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand stellen musste.
Diesen begründete ich später dann damit, dass ich auf die Leerungszeiten an dem Postbriefkasten vertrauen konnte, weil mir bekannt war, dass dieser regelmäßig und überwiegend pünktlich geleert wurde. Diese Binsenweisheit versah ich mit einer eidesstattlichen Versicherung und sandte den Schriftsatz bereits mehrere Tage vor Fristablauf zum Verwaltungsgericht.
Nun, einige Zeit später erhielt ich dann einen Beschluss, wonach mir die Wiedereinsetzung gewährt wurde. In der Begründung dazu hieß es von dem Richter - nicht ohne einen kräftigen Seitenhieb in Richtung der Bundespost auszuteilen -, diese habe für den Transport des Briefes nicht nur ungewöhnliche 2 Werktage sondern weitere 16 Stunden, also 96 Stunden benötigt, was einer Geschwindigkeit von 23, 3 Metern je Stunde entspräche. Ich musste seine Ausführungen erneut lesen, um zu erfassen, dass dieses eine schalende Ohrfeige in Richtung des Dienstleister war.
Nun, mehr als 35 Jahre danach, vernehme ich aus den Nachrichten, dass die Post ihre Bedingungen für die Bearbeitung eines eingeworfenen Standardbriefes massiv verändern möchte. Und zwar im Sinne einer versteckten Portoerhöhung. Weil eine solche zwar bereits in diesem Jahr geplant, aber von der Bundesnetzagentur nicht durchgewunken wurde, versucht der Riese in Gelb es auf eine andere Art.
Angeblich soll - so das veröffentliche Zahlenwerk aus dem gelben Haus - die Sparte Briefzustellung chronisch defizitär geworden sein. Okay, das mag so sein, denn es gilt seit langer Zeit die simple Feststellung in Gestalt der Frage: " Wer schreibt denn heute noch? "
Andrerseits ist auch klar, dass der Mehrheitseigner, der Bund also, ausschließlich nach betriebswirtschaftlichen Aspekten ausrichten muss, denn andere Konzernbereiche werfen enorme Gewinne ab und die Verpflichtung der Post AG bleibt nach wie vor bestehen, auch für das Gemeinwohl einzustehen. Dieser staatliche Dienstleister sollte bei den billigeren Standradbriefen nicht zur Schneckenpost verkommen - Digitalisierung hin, Historie her!
JOE COCKER - The Letter - Mad Dogs & Englishman - 1970:
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