Wo liegt eigentlich Ichterhausen?

 



Da ich immer auf der Suche nach Relikten aus der Zeit der untergegangenen DDR bin, war ich hoch erfreut, dass mir meine bessere Hälfte aus dem Fundus der verstorbenen Eltern eine schon reichlich ramponierte Schachtel mit Rouladen - Nadeln zeigte. Diese hatte sie für die Essenvorbereitung des für Morgen, den letzten tag des Jahres 2023, eingeladenen Besuch benötigt.

Rouladen? 

Ja, lange nicht mehr gegessen. Während sie die edlen und nicht gerade billigen, dünn geschnittenen Fleischscheiben zubereitete, ich noch kurz die Schachtel fotografierte, kamen mir Erinnerungen an meine Kindheit und Jugend in den 1960er bis 1970er Jahren.
Unsere Mutter konnte kochen. Eine Fähigkeit, die der Mehrheit der heutigen jungen Damen ( von den Knilchen schreibe ich hier lieber erst gar nicht ) längst abhanden gekommen ist.

Und weil Muttern kochen konnte, gab es dann irgendwann ab Ende der 60er statt die selbst geschlachteten Schweinefleisch - Varianten, ab und zu auch Rindsrouladen. Die wurden mit Kartoffelklößen nach Schlesischer Art ( also halb und halb ), dazu Rotkohl ( selbstverständlich eigens zubereitet ) sowie einer deftigen Soße sonntags auf den Tisch gestellt.
Lecker!

Die Rouladen, in denen sich geschnittene Zwiebeln, Pfefferkörner sowie auch Rauchenden und eine Messerspitze scharfer Senf befanden, wurden zumeist mit schwarzen Zwirn umwickelt. Zusätzlich stabilisierte Muttern sie aber mit jenen Rouladen - Nadeln.
Die gab es in der BRD, im Westen, in jedem gut sortierten Haushaltswarengeschäft für relativ wenig Geld zu kaufen.

Im Staat der benachbarten Brüdern und Schwestern war dieser Artikel zwar auch zu bekommen, doch eben nicht immer.

Bis in die Wendejahre hinein wurden diese in den Werk VEB Nadelwerk Ichterhausen hergestellt. 

Die über 130 Jahre die Wirtschaft von Ichtershausen bestimmende Nadelfabrik, in der im Jahr 1989 (VEB Nadelwerk Ichtershausen) etwa 800 Menschen mit der Herstellung von 3000 Nadelsorten beschäftigt waren, musste nach der Wende die bis dahin überwiegend auf den Export in den RGW-Raum ausgerichtete Produktion stark reduzieren. Heute arbeiten nur noch etwa 30 Mitarbeiter im TNI Chirurgisches Nadelwerk GmbH. 




Ichterhausen liegt im heutigen Freistaat Thüringen und zählt aufgrund einer Kommunal - und Gebietsreform zum Amt Wachsenburg des Ilm - Kreises ( https://de.wikipedia.org/wiki/Amt_Wachsenburg ).

In der knapp 2.800 Einwohner zählenden Ortsteil existiert zwar das Nadelwerk noch, doch dort sind lediglich 30 Mitarbeiter tätig. Einst waren es um die 800. 



Heutzutage werden in Ichterhausen chirurgische Nadeln produziert.


Rouladen - Nadeln ( auch Rouladennadeln ) sind immer noch erhältlich. Sie werden für 0,99 Euro ( 10 Stück ) bis zu 4,98 Euro ( 30 Stück ) im Handel angeboten.


Nun, ja, die 13 Stück aus dem VEB Nadelwerk Ichterhausen konnte ein Kunde für 0,47 Mark ( Ost ) erwerben ( UVP ).

So werden unsere  Ichterhausener Rouladen - Nadeln denn auch weiterhin ihre Dienste verrichten, spätestens dann wieder, wenn wieder Rinds - oder gar Kalbsrouladen auf den Tisch des Haues kommen.



SOCRATES  -  Every Dream Comes To An End  -  Phos  -  1976:




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