Jimmy Cliff´s " Vietnam " und Jonny Nash´s " I Can See Clearly Now " auf Radio " Veronica "




Das Wetter schlägt im neuen Jahr wieder Kapriolen. Während es bei unseren Nachbarland Österreich durch heftige Schneefälle zeitweise zu einem Stillstand des Verkehrs, in Bayern mehr als 70 cm Neuschnee zu chaotischen Verhältnissen kam, plästerte es bei uns in Sachsen ab Freitagabend bis heute Vormittag.

Als ich Sonntagmorgen in aller früh aufstand, die Katzen versorgt hatte und mich gemütlich in die warme Küche setzte, hörte ich einige Minuten bei einem Pott heißen Kaffee dem prasselnden Regen zu. Draußen war alles still. Nur ab und an donnerte ein Bus der DVB an der Wiesbadener Straße entlang. Einige Male erkannte ich die Scheinwerfer eines PKW, die jetzt in der Winterjahreszeit deutlich zu erkennen sind. Ich zog meine morgendliche Literatur aus der Schublade des Küchenschranks und schaltete das Radio ein. " Krautrock minus world dot com. Your Internet... ", brüllte es mir entgegen.

" Nö, jetzt nicht! ", war mein Gedanke, als ich die Taste " 9 " drückte. Sofort waberte seichte Klänge durch den Raum. " Radio Bremen Eins ", brachte Oldies aus der zeit ab den 1950er Jahren aufwärts.
Entspannt las ich ein weiteres Kapitel in dem Buch des Kollegen von Schirach. Es heißt " Stinkefisch " und handelt von einem alten, kranken und blinden Mann, der in einem stinkenden, herunter gekommenen Haus neben der Schule lebt und von Kindern zunächst gehänselt und dann mit Steinen beworfen wird. Eine Strafe dafür folgte nicht auf dem Fuße. Die Delinquenten waren nicht einmal 14 Jahre alt.

Nachdem ich die Geschichte gelesen hatte, erinnerte ich mich an meine Schulzeit. Wir haben auch so manchen Blödsinn verzapft, aber Menschen mit Steinen beworfen? Nein, das wäre uns damals nie eingefallen. Solche Rabauken, derartige Rüpel und Ungezogene waren wir nicht. Bei uns waren es eher harmlose Streiche oder Dummheiten für die wir dann ermahnt wurden. So tobten wir eines Tages auf der von uns im Winter als Rodelbahn umfunktionierten Prasuhn´s Wiese herum.
Der Bauer Prasuhn aus Bad Eilsen hatte hier immer seine Kühe laufen lassen, die dann das saftige Gras abfrasen. War die Wiese kurz gefressen, stellte er die Kühe auf die nächste Weidefläche.

Die Hinterlassenschaften der gut ein Dutzend Milchkühe färbten sich im Sommer von einem hellen Braunton in ein Grau. Die Kuhfladen trockneten beinahe aus. Irgendwann kamen unsere Truppe von der Feldstraße auf die Idee, mit zuvor von der Aue abgebrochenen Weidenstöckern die Fladen aufzuspießen und dann zu versuchen, einen Kuhfladen möglichst weit von sich zu werfen. Ein nahezu sinnloses Unterfangen, denn die Kuhfladen waren mittig noch nicht ausgetrocknet, so dass sie manchmal an dem Weidenstock herunter rutschten. Wer dabei nicht aufpasste, hatte den Kuhdreck an der Hand und wurde von den anderen Kindern ausgelacht.

Unser Treiben wurde von einem Bad Eilser beobachtet, der damals mit seinem VW Käfer regelmäßig von der Arbeit kommend, die Bückeburger Straße entlang fuhr. Er hielt plötzlich mit seinem 1200er VW an, kurbelte die Seitenscheibe herunter und begann uns auszumeckern. Was wir dort machen würden? Wir hätten auf der Wiese nichts verloren. Er würde gleich den Bauern holen, damit der uns dort verjagen solle. Später drohte er gar mit der Polizei. Wir liefen davon. Vor der Polizei hatten wir Angst, vor dem alten Mann mit Namen Bromund nicht. Der hatte selbst drei Kindern, die jedoch bereits älter waren. Der erwachsene Sohn fuhr zu jener Zeit zur See, der jüngere war ein absoluter Rüpel, der es öfters mit der Polizei zu tun bekam. Michale Bromund war ein ortsbekannter Rabauke.

Der alte Bromund fuhr weiter. Einige Tage später beschwerte er sich bei unserer Mutter, die zu jener Zeit als Aushilfe im Feinkostgeschäft H.H. Wienecke an der Bad Eilser Promenade arbeitet. Bromund log dieser vor, wir hätten seinen frisch gewaschenen VW Käfer von der Wiese aus mit Kuhfladen geworfen.
Eine glatte Lüge. Und so sah es auch unsere Mutter. Es gab deshalb keinerlei tadelnde Worte von ihr.
Und auch die Polizei kam nicht vorbei. Sie ist nie im Elternhaus vorbei gekommen, weil wir ja Angst vor dem Dorfsheriff hatten, der damals noch eine Dienststelle in Bad Eilsen hatte.

Weil wir eine auf Befehl, Gehorsam und Angst aufbauende Erziehung erhielten, hatte ich auch zu viel Respekt vor vielen Lehrern, die uns deshalb schlagen durften. Und just diese unterschwellig mit laufende - falsche, aber dem damaligen Zeitgeist geschuldete - Erziehung spielte auch während meiner dreijährigen Lehrzeit eine Rolle. Ich hatte deshalb zunächst vor meinen Chefs einen gehörigen Respekt. Das wurde natürlich während der Lehrzeit weidlich ausgenutzt. Lehrlinge, so genannte Stifte, hatten nichts zu melden. Sie waren der Wurmfortsatz des Betriebs. Sie hatten sich zu fügen und demgemäß auch die oft vorschriftswidrigen Bedingungen zu akzeptieren.

Hierzu gehörte auch, dass ein " Stift " mit dem ersten Lehrjahr zunächst in das eine halbe Etage unterhalb des Verkaufsraumes und der Büros liegende Eisenlager zu malochen hatte. Hier gingen die Bestellungen der Kunden auf gelben Auftragsvordrucken ein. Diese lagen dann vor einem Holzkabuff, in dem der " Lagerleiter " oft saß und jene Tätigkeiten ausführte, von denen wir " Stifte " eh noch keine Ahnung hatten und die die anderen Angestellten nicht erledigen durften, weil es eigentlich nur Ungelernte oder bestenfalls Branchenfremde waren.

Einige Meter davon entfernt befanden sich das Sanitärartikellager, gefolgt von den Räumen, in denen sich allerlei Drahtgeflecht ( Moschendrohtzaun ) lag. Am Ende des Gebäudes hatte der Ausbildungsbetrieb ein Glas- und Bauglaslager eingerichtet. Und dieser muffig riechende Raum sollte im zweiten Lehrjahr meine gesamte Einstellung zu dieser Lehre nachhaltig beeinflussen.

An einem Wochentag im Sommer 1970 hatte ich ein älteres Ehepaar als Kunden zu bedienen, die just aus diesem Glaslager eine Riffelglasscheibe bestellten. Ein Auftrag, den ich ohne Hilfe eines erfahrenen Verkäufers hätte gar nicht ausführen dürfen. Weil ich zu schüchtern und mutlos war, einen älteren Verkäufer zu fragen, ging ich mit den Kunden in das Glaslager. Ich zog mir die Arbeitshandschuhe an, holte meinen Zollstock hervor und nahm den Glasschneider aus der Tischschublade.
Dann riss ich an der großen Riffelglascheibe herum.

Was Sekunden später geschah, ist mir nicht mehr in Erinnerung. Ich erkannte nur meinen zirka 10 cm lang aufgeschlitzten rechten Unterarm, aus dem das Blut heraus lief. Ich ließ die Glasscheibe in dem Holzgestell und rannte in Richtung des Kabuffs in dem der Lagerarbeiter eigentlich saß und die Aufträge sortierte. Der aber stand oben im Büro, sah meinen verletzten Arm, eilte die Treppen herunter, legte mir einen Druckverband an und lief zu seinem PKW, der auf dem Parkplatz neben der Toreinfahrt stand.

Wenig später waren wir bei einem Notarzt. Der schon recht betagte Mediziner hatte an diesem Tag Notdienst. Er verpasste mir eine örtliche Betäubung, desinfizierte die Wunde und nähte sie mit gut einem Dutzend Stichen. Danach mischte der Arzt Gips an, drückte auf den Verband eine Halbschale aus Gaze und verschmierte die Konstruktion, Er legte dann eine Schlaufe um meinen Arm, verknotete diese und schrieb mir anschließend einen Krankenschein aus.
Der älter Arbeitskollege hatte sich zwischenzeitlich verabschiedet.

Ich lief zur Bushaltestelle und wartete. Nach mehr als einer halben Stunde kam der Linienbus nach Bad Eilsen. Von diesem Tag an, begann für mich eine 6 - wöchige Erholungsphase. Kein frühes Aufstehen, keine Fahrten zur längst ungeliebten Ausbildungsstelle und auch den Besuch der Berufsschule schenkte ich mir. Ich konnte eh nicht mit -  oder Klassenarbeiten schreiben. Als Rechtshänder ging das schlecht. Sechs lange Wochen durfte ich herum gammeln. Allenfalls die wöchentliche Fahrt zum Arzt, der den Verband wechselte und den Heilungsverlauf überprüfte, waren in dieser Zeit meine Pflichtaufgaben. Denn von dem Mediziner bekam ich danach zwei weitere Krankschreibungen, die ich dann direkt bei der Ausbildungsstelle abgab.

In diesen 6 Wochen Erholung schlug ich mir die Zeit mit Bücher lesen, Radio hören und Freunde besuchen um die Ohren. Vor allem lief das ITT Schaub Lorenz Touring 70 jeden Tag. Es war die Zeit, in der ich versuchte ausländische Rundfunkstationen über die vielen Mittelwellensender zu empfangen. Ich setzte mich hierzu auf einen Küchenstuhl und begann den rechten Drehknopf, der der Frequenzfeinabstimmung diente, vorsichtig Millimeter um Millimeter auf der Bandskala zu bewegen.

Und tatsächlich: Ich konnte auch eine Reihe von englischsprachigen, niederländischen, aber auch französischen Sendern empfangen. Darunter - wenn auch oft in äußerst dürftiger Qualität - den Nordsee - Piratensender " Radio Veronica ". Und der spielte Musik, die in den deutschsprachigen Programmen allenfalls spät abends hörbar war. Es war nicht immer das, was sich mittlerweile auf dem Teller meines Plattenhobels wieder fand. Keine Titel von " Deep Purple ", " Ten Years After " oder " Black Sabbath ", auch keine Stücke von Bands oder Interpreten, die knapp ein Jahr zuvor in Woodstock aufgetreten waren, aber es waberten Songs durch den Äther, die ich längst kannte.
Eine Single davon hätte ich mir deshalb auch nie gekauft. Ich kannte diese Stücke nur zu gut. Warum also sollte ich mir sie dennoch zulegen?

Dazu zählte auch der Reggae - Hit " Vietnam " von Jimmy Cliff.

Reggae - Musik war nie mein Metier. Obwohl ich die bekannten Interpreten, wie Bob Marley, Peter Tosh oder Desmond Dekker durchaus im Radio hören konnte. Aber Cliff´s " Vietnam " gab mir eigentlich nichts. Obwohl es der Prototyp des Anti - Kriegssongs war. Ich hatte mit Protestliedern gegen den Vietnamkrieg der Yankees nicht viel am Hut. Zum damaligen Zeitpunkt verstand ich auch nicht, warum der selbst ernannte Weltpolizist dort eingefallen war und Menschen ermordete. Deshalb gab mir Jimmy Cliff´s " Vietnam " auch nichts. Doch " Radio Veronica " orgelte das Stück beinahe täglich herunter.

Solange, bis ich den Sender in den Vormittagsstunden dann nicht mehr hören konnte, weil ich nach sechs Wochen wieder gesund geschrieben wurde. Vorbei war die schöne Zeit mit Platten abspielen, Radio hören und Bücher lesen. Jetzt begann der Ernst des Lebens wieder. Morgens aufstehen, zur Lehrstelle fahren, abends früh ins   Bett gehen, damit man ausgeschlafen ist. Die Steigerung davon waren jene Zeit während des Kriegsdiensts nach meiner abgeschlossenen Lehre.

Mehr als 20 Jahre später, der einstige Piratensender " Radio Veronica " war längst kein Thema mehr, weil er jetzt zum offiziellen Programm legal Pop - und Rockmusik in unserem Nachbarland ausstrahlen durfte. Der Zeitgeist hatte die Piraten auf ihrem Schiff von einst einfach gekapert und bewirkt, dass populäre Musik auch in den staatlichen Rundfunkstationen ihren Platz fand.

Als ich mich 1989 irgendwann zu einem Gerichtstermin in Meppen aufhielt, hörte ich zufällig das Programm des ehemaligen Senders " Veronica " und einen Aufguss des 1972er Reggae - Hits von Jonny Nash - " I can see clearly no ".

Auch die ursprüngliche Fassung wurde damals, also 1972, von dem noch existenten Piratensender ständig herunter gedudelt.

Irgendwie doch schön, dieser Reggae - Verschnitt?





https://de.wikipedia.org/wiki/Radio_Veronica









 














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