Winterspaziergang



Gestern Nachmittag war es wieder so weit. Der beauftragte Makler hatte ab 15.00 Uhr einen Besichtigungstermin mit einem interessierten Ehepaar aus Dresden vereinbart. Es ist jetzt der 8. seit dem Mai 2018. Ob es der letzte sein könnte, steht noch nicht fest. Ein weiteres Ehepaar mit Kind, dass aus Dänemark angereist kam, zeigte konkretes Interesse an dem Haus. Die anderen Personen waren zum Teil Blender, Branser oder Banausen, die eigentlich nur ihr Mütchen kühlen wollten.
Auch damit muss ein Verkäufer heutzutage überall und nirgends in dieser Gesellschaft rechnen.

Der Makler erschien vor dem Termin. So, wie es ein Profi in seiner Branche als Gepflogenheit kennt und auch zelebriert. Wir unterhielten uns noch kurz. Er zeigte sich als gesundheitlich ein wenig angeschlagen. Winterwetter ist in unseren Breiten mit Erkältungswetter gleichzusetzen. Er erzählte uns, dass bei einem Besichtigungstermin in der vergangenen Woche plötzlich seine Stimme versagte. Der Gau für jeden Freischaffenden, der das gesprochene Wort als Waffe einsetzen muss, damit er die Kohle verdienen kann.

Es war kurz vor Drei. Ich sah aus dem Wohnzimmerfenster. Auf dem Gehsteig ging ein Paar am Haus vorbei. Ich bemerkte, dass es fremde Gesichter waren, die an dem Haus hoch blickten. Das mussten die Interessenten sein. Nun, ja, ein noch nicht so altes Paar. Warum auch nicht? Es gibt auch in unserer Stadt Menschen, die gut bis sehr gut verdienen.

Ich erläuterte dem Makler, dass seine Kunden wohl angekommen seien. Er stand auf und ging zur Tür. So, wie es sich für einen Makler in der Regel ziemt. Schließlich ist er ab diesem Zeitpunkt der stellvertretende Hauseigentümer. Der Makler öffnete die Tür. Ein sich etwas zurückhalten zeigendes Paar betrat den Eingangsbereich und blieb zunächst etwas perplex stehen. Ich stellte mich ihnen mit Nachnamen vor. Der Mann sah mich irgendwie fragend an. Vielleicht hatte er einen grauhaarigen, leicht krumm gehenden, vom prallen Leben bereits gezeichneten Mann erwartet.

Ich bat das Paar herein und öffnete dabei die linke Seite der Schwingtür. " Bitte schön, treten Sie ein!", wählte ich meine Worte. So, wie ich es lange zuvor zunächst über die Befehl - und Gehorsamerziehung in der Schule, dann in der Lehre und vor allem partiell über das Elternhaus eingetrichtert bekommen hatte. Höflichkeit ist ja auch mal eine deutsche Tugend gewesen. Das liegt allerdings mehr als 5 Jahrzehnte zurück.

Das jüngere Paar schien von der Größe des Treppenhauses so perplex zu sein, dass es beinahe meine bessere Hälfte, die mit dem Makler noch vor der Schwingtür stand, übersehen hätte. Wir zogen uns an. Es ist ja Winter. Deshalb setzte meine bessere Hälfte ihre einen Tag zuvor erworbene Mütze auf. Ich zog mir ausnahmsweise Handschuhe an. Es waren die des verstorbenen Schwiegervaters. Wir verabschiedeten uns. " Wir machen jetzt den Kerpeling! ", sagte ich dabei. Ich war mir nicht sicher, ob das Paar die Pointe verstanden hatte. Mir schienen Beide immer noch ein wenig verunsichert  zu sein.

Vielleicht dachten sie tatsächlich, es wären zwei greisenhafte Bewohner anzutreffen, deren nächster Weg die Seniorenresidenz sei? Oder es war das Objekt selbst, dass sie sprachlos machte? Wie dem sei, wir starteten unseren Spaziergang in Richtung Grenzallee. Vorbei an die dort rechtsseitig liegende, inzwischen verschneite Grünfläche. Über Nebenstraßen gelangten wir auf die Hohendölzschner Straße. Dabei betrachteten wir einige Häuser und deren Gärten. Es hatte sich erneut einiges an und um jene Häuser und Grundstücke getan, die wir von den Spaziergängen von vor einigen Jahren her längst kannten.
Die Stadt wächst weiter und damit wird Grund und Boden begehrt. Auch an der Peripherie.

Als wir an der 81. Grundschule vorbei gingen, erinnerte ich mich an eine Information, die ein Nachbar mir kurz nach Neujahr gab. Am Silvesterabend fuhren Dutzende mit ihren PKW bis dort hin und beobachteten das Feuerwerk im Kessel von Elbflorenz. Vor einigen Jahren durften wir aus dem " Oberdorf " selbst mit ansehen, wie unzählige Raketen in den Dresdner Himmel stiegen.
Das Schauspiel 2018 / 2019 ist nun auch schon wieder 11 Tage her.

Wir gingen an dem Hort und dem Schulgebäude vorbei in Richtung des Neubaugebietes an der Wurgwitzer Straße. Hier oben wehte ein kalter Wind.  Es lag auch mehr Schnee als bei uns. Auch dort hatte sich wieder vieles verändert. Einige Häuser sind an den neu angelegten Straßen hinzu gekommen.

Auf dem Rückweg fiel uns auf, dass in und an den meisten Häusern noch die Weihnachtsdekoration zu sehen war. Jene Art und Größe von Schwibbögen, der typischen Herrnhuter Stern in allen Variationen und Lichterketten, die bereits wieder angeschaltete waren. Weihnachten ist doch längst vorbei. Doch so schnell verabschiedet sich ein auf seine Gewohnheiten fixierter Dresdner nicht davon. Es sieht ja auch imposant aus, wenn es überall leuchtet und ein wenig glitzert. Nur der US - amerikanische Weihnachtskitsch, der kann mir gestohlen bleiben.

Es war inzwischen halb fünf als wir wieder in die Straße einbogen. Der Winterspaziergang endete dort, wo er vor vor knapp 1 1/2 Stunden begonnen hatte. Der Makler war weg. Die Kaufinteressenten auch. Ende - offen?


" May Blitz " - " The 25th Of December 1969 " -  " The 2nd Of May " - 1971:










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