1. Januar 1977: Auf der Autobahn morgens um vier!



Nun ist sie vorbei, die Nacht zum Jahreswechsel 2018 / 2019. Mit ihr verbrannten nicht nur mehr als 100 Millionen Euro, sondern auch so manche Hautflächen diverser Körperteile bei voll trunkenen oder anderen, sich nicht ganz bei klarem Verstand befindenden Bundesbürgern. Die Notärzte, Notdienste, Feuerwehren und natürlich die Polizei hatten alle Hände voll zu tun.

Während wir uns aus der Ödnis der gesamten TV - Landschaft verabschiedeten und uns lieber mittels aufgezeichneter Musiksendungen bis Mitternacht über Wasser halten konnten, krachte, knallte, jaulte, zischte, heulte und sprühte es rundherum. Bereits bei Einbruch der Dunkelheit hatten die verkappten Pyromanen und militaristisch orientierten Mitbürger ein Inferno veranstaltet, das bis in die frühen Morgenstunden andauerte.

Auch unser Herr Nachbar war dabei. Spät, aber nicht zu spät, ließ er es bei seiner Rückkehr von irgendeiner Festivität dann noch so richtig krachen. Bei uns indes blieb alles schön ruhig. Die aufgenommenen 3sat - Musiksendungen sorgten für die richtige Entspannung. Zwei hiervon zeigten Ausschnitte aus Auftritten der Rolling Stones.

Als diese bei einem ihrer unzähligen Konzerte, das die Gruppe in den 1980er Jahren gab, es dann von der Riesen - Bühne aus ebenfalls richtig krachen ließen und der noch beinahe taufrisch wirkende Mick Jagger auf dem Laufsteg wie ein junges Reh herum sprang, erinnerte ich mich an einen Silvesterabend in Oldenburg vor genau 42 Jahren.

Ich war von Bekannten aus Varel bei Wilhelmshaven zu einer Kneipentour nach Oldenburg eingeladen worden. Es sollte die Lösung der immer währenden Frage nach dem  " Was machst Du Silvester " sein und endete schließlich in der profanen Feststellung, dass an jenem Abend vor dem Jahreswechsel, alles bessere gewesen wäre als dieses.

Wir fuhren erst gegen 10.00 Uhr von der Wohnung der Bekannten los. Ihr damaliger Freund war ein Zappa - Fan, was er dann auch durch eine Vielzahl von Aufklebern an der Heckklappe seines uralten Peugeot deutlich zeigte. Er schenkte mir so einen Zappa - Aufkleber, den ich dann stolz auf die Heckklappe meines grünen R4 pappte.

Gut, ja, gut, ich sach´ma´: Ich war nie der überzeugte Anhänger der Kraut & Rüben - Chaos - Musik des Musikers und Gitarristen Frank Zappa,  hörte mir aber  die LPs, die der Vareler - Fan an jenem Abend auflegte, geduldig an.

Als wir in Oldenburg ankamen, war die Innenstadt beinahe menschenleer. Nur in den Kneipen und einigen Wohnungen brannte Licht. Wir tingelten von einer " Szene - Kneipe " zu der nächsten. Es wurde Mitternacht. Das neue Jahr begann. Bis auf ein paar Raketen, die nahezu unbeachtet in dem bedeckten Nachthimmel der Universitätsstadt aufstiegen, war kein Böllerlärm, kein Zischen und Heulen von anderer Pyrotechnik zu hören. Es war still. So still, dass unsere Schuhe, die auf das teilweise verlegte Kopfsteinpflaster traten, dass unser Gang zur nächsten, beinahe leeren Kneipe, in den kleinen Straßen deutlich zu hören war.

Wir tranken in der nächsten Kneipe ein Glas Sekt. Dann zogen wir weiter. Auch in den anderen kleinen Lokalen war " tote Hose ". Schließlich gelangten wir in eine Musikkneipe. Ein langhaariger Betreiber des Lokals stand hinter der Theke. Er begrüßte zuerst den Zappa - Fan, dann uns. Im Hintergrund lief eine Scheibe von " Roxy Music ". Wir hielten uns über einen längeren Zeitraum in dieser Kneipe auf. Der Betreiber spielte auch weiterhin nur " Roxy Music ". Ich fragte den Zappa - Fan, was er von der Truppe um den Sänger Brian Ferry hält. " Nichts! ", war seine Antwort.
Ich grinste ihn verständnisvoll an. Dieses, obwohl ich selbst zu diesem Zeitpunkt mehrere LPs von der Band besaß.

Unser Bekannter aus Varel bat den Kneipier, er möge Frank Zappa spielen. " Nö!", sagt der und weigerte sich.
Dann legte er das Album " Viva Roxy Music " auf, dass die englische Gruppe vor damals knapp 1, 5 Jahren auf den Markt geworfen hatte. Es ist eine Live - LP. Als der Titel " If There Is Something " abspielte, riss der Thekenmensch die Anlage volle Pulle auf. Unser Bekannte zahlte sein Getränk, meckerte laut herum und verließ wütend das Lokal. Seine Freundin ließ er zurück. Sie begann zu heulen. Wir versuchten sie zu beruhigen und sagten ihr zu, sie auf der Heimfahrt nach Wihelmshaven in Varel abzusetzen. Sie wurde daraufhin richtig redselig und erklärte uns, dass sie seit längerer Zeit mit ihrem Freund wegen des Verbohrtheit rund um sein Idol Frank Zappa Probleme habe.

Nach zwei Stunden zahlte ich alle Getränke. Die Bekannte hatte reichlich Bier konsumiert und wankte leicht aus der Kneipe. Im Hintergrund lief immer noch " Roxy Music ". Es war bereits weit nach 4.00 Uhr morgens, als ich die Bekannte wieder in Varel absetzte. Sie bedankte sich bei uns und schwankte in das rote Klinkerhaus, in sich die Wohnung befand. Ihr Freund war noch nicht zu Hause. Er kam an jenem Neujahrstag auch nicht zurück.

Als wir uns wieder auf der Autobahn in Richtung Wilhelmshaven befanden wurde es langsam etwas heller. Der immer aktive Wind an der Küste hatte die Wolkendecke aufgerissen und aus dieser lugte jetzt ein halber Mond hervor. Er beleuchtete das graue Einerlei links und rechts von der leeren Autobahn. Kurz hinter Zetel kam uns ein Milchtanklastwagen entgegen. Er hatte die erste Fuhre Frischmilch abgeholt und fuhr in Richtung der dortigen Molkerei. Ansonsten war auf den Straßen bis in die Stadt hinein nichts los. Kein Mensch, kein Auto, kein Tier, das sich hier bewegte.

Genauso öde, wie der Kneipenbummel in Oldenburg, endete jener Neujahrsmorgen 1978. Dessen einziger Höhepunkt der Streit um den jeweiligen Musikgeschmack war. Ein eher banaler Disput, um fast nichts. Das Jahr 1978 sollte jedoch einige Veränderungen in meinem eigenen Leben mit sich bringen. Ich wechselte unter anderem den Studienort und führte das BWL - Studium in Bremen weiter.
Das Bekanntenpaar trennte sich wenig später. Der Zappa - Fan zog aus. Ich hörte danach nie wieder etwas von den Beiden.

Zappa hin, Brian Ferry her: Musik bleibt Musik. Dennoch muss man sich aber auch darüber streiten dürfen.


Frohes Neues Jahr!


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