Der Nissan ZX 300 Twin Turbo oder: Aus neu mach zwei Mal Geld?



Als das letzte Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts begann, lagen die einstigen beiden deutschen Staaten noch mit heftigen Geburtswehen der vollzogenen Wiedervereinigung im Krankenhaus namens Europäische Gemeinschaft, aus der dann 1992 die Europäische Union wurde. Gezahlt wurde aber jetzt im Beitrittsgebiet, der einstigen DDR, mit harter DM.

Das war gut für die Im - und Exportwirtschaft, denn die Nachfrage an Konsumgüter stieg durch den Nachholbedarf in den Ostbundesländern stetig an. Und dieses, obwohl die Kloppertruppen der Treuhand längst begonnen hatten. den Befehl des Plattmachens einstiger DDR - Betriebe  in die Tat umzusetzen.

Nichtsdestotrotz war die Nachfrage der vormaligen DDR - Bürger an westdeutschen PKW ungebrochen. Der Gebrauchtwagenmarkt zeigte sich ab 1990 ff wie leer gefegt. Der BRDler verschachterte auch noch die letzte Rostlaube an einen Ostdeutschen und kaufte sich selbst dafür einen Neuwagen. Auch dieser Sektor wurde dadurch überhitzt. Die Autokonzerne kamen mit der Produktion kaum nach.

Jene Zeit war damit auch für ausländische Anbieter mehr als günstig. Deshalb sprangen hier die japanischen Hersteller, wie Toyota, Honda, Mitsubishi, Mazda, Suzuki oder Subaru in die Presche und ließen Hunderttausende Fahrzeuge nach Europa und vor allem Deutschland verschiffen. Das Geschäft boomte. Der Yen rollte. Auch für den Anbieter Nissan.
Der 1953 gegründete Fahrzeugbauer schlitterte jedoch gleich zu Beginn der 90er Jahre in eine selbst verschuldete Finanzkrise und wäre beinahe bankrott gegangen.

In diesem Zeitraum, nämlich ab 1991 brachte der Konzern einen sportlich akzentuierten PKW auf den Markt, für den - mehr als 25 Jahre später - auf dem Gebrauchtwagenmarkt noch hohe Preise verlangt werden: Der ZX 300 Twin Turbo kam in die Nissan - Niederlassungen.


https://de.wikipedia.org/wiki/Nissan_300ZX


Dieser Sportwagen war allerdings schon als Neufahrzeug nichts für den kleinen Geldbeutel. Die Grundausstattung kostete satte 98.000 DM. Ein exorbitant hoher Preis für einen - von den Blödmicheln aus der Riege der VW - Fahrer - geschmähten " Exoten ", einer " Reisschüssel ".
Das Nissan - Model verkaufte sich nicht nur deshalb sehr schleppend.

Doch ein Mandant, ein griechischer Gastronom, konnte der Verlockung des Rasens auf den glatten Straßen und Autobahnen, dieses unseres Landes, nicht widerstehen. Er schaffte sich die " Rakete " an und fuhr damit für einige Tage in Bremen und umzu protzend herum. Kurz darauf jagte er mit dem Nissan in seine Geburtsstadt, die in der Nähe der Landeshauptstadt Athen liegt. Was ihn hierhin trieb, konnte ich damals nur erahnen.

Doch kurz darauf meldete er sein Fahrzeug als gestohlen. Die Polizei ermittelte, die LVM - Versicherungen erwachte und muckte auf und der Mandant, für den ich bereits vorher einige Rechtsfälle bearbeitet hatte, erschien eines Tages mit einer polizeilichen Ladung im Büro.
Meine Kanzlei lief zu diesem Zeitpunkt eher schlecht. Ich nahm deshalb auch dieses Mandant dankend an.

Dem Nissan - Sportwagenbesitzer wurde aufgrund einer Strafanzeige der eigenen Kaskoversicherung, der LVM in Münster, vorgeworfen, eine Betrugshandlung begangen sowie eine Straftat vorgetäuscht zu haben. Was war geschehen?

Nun, aus der später fotokopierten Ermittlungsakte ergab sich, dass der Mandant den ZX 300 Twin Turbo auf einem Parkplatz vor einer Diskothek in Delmenhorst abgestellt hatte. Als er das Lokal in den frühen Morgenstunden wieder verlassen wollte, sei er von einem Bekannten angesprochen worden, der beobachtet haben wollte, wie sein Auto plötzlich weg fuhr.

Das strafrechtlich relevante Problem war hierbei allerdings, dass es auf der Parkfläche keinerlei Aufbruchspuren, wie das üblicherweise herum liegende Glas aus einer zerstörten Seitenscheibe des PKW gab. Da der Mandant zudem sowohl den Originalschlüssel als auch den Zweitschlüssel besaß, konnte der Sportflitzer also nicht gestohlen worden sein.

Das Unheil nahm also seinen Lauf. Die beiden Schlüsselsätze wurden beschlagnahmt, nachdem die Versicherung gegen den eigenen Versicherungsnehmer Strafanzeige gestellt hatte. Ein Schlüsselsachverständiger aus Hamburg brachte das Geheimnis dann an den Tag. Von dem Hauptschlüssel wurde ein Nachschlüssel gefertigt. Nur, von wem?

Die LVM in Münster witterte Versicherungsbetrug, lehnte eine Schadenregulierung ab; die Staatsanwaltschaft in Oldenburg wohl auch und die erhob dann Anklage gegen den Mandanten.

Der fühlte sich indes unschuldig, beauftragte mich mit seiner Verteidigung und gleichzeitig der Geltendmachung der Schadenersatzansprüche aus dem Versicherungsvertrag gegenüber der LVM.

Die Wochen und Monate vergingen. Dann erhielt ich eine Ladung zu der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - in Delmenhorst. Ich bereitete mich auf den Termin vor und briefte den Mandanten, dass dieser genau jene Aussage wiederholen solle, die er als Sachverhaltsschilderung in der Strafanzeige gegen Unbekannt bereits gemacht hatte. Wenn das Gericht Fragen wegen des Schlüssels stellen würde, solle er angeben, dass er den Schlüssel immer in seinem Sakko, das an der Garderobe hing, gehabt habe.

Soweit, so prekär. Der Mandant sprach nämlich nur unzureichend deutsch. Deshalb wurde ein Dolmetscher für die griechische Sprache gleich mit geladen.

Es war ein Frühjahrestag im Jahr 1992 als die Hauptverhandlung gegen Herr Nikolaos K. in Delmenhorst durch Aufruf der Sache begann. Die Vorsitzende Richterin war eine leicht ergraute Frau mit einer besonnenen Verhandlungsführung. Auch die Staatsanwältin gehörte in ihre Altersgruppe. Die beiden Juristinnen kannten sich wohl schon lange. Und deshalb wurde mir auch später klar, warum der Prozess eher so dahin mäanderte.
Beide Kolleginnen hatten zusammen mehr als das 10fache an Berufserfahrungen auf dem Buckel als ich.

Deshalb war der Termin ab 11.30 Uhr für nur knapp 1 Stunde angesetzt. Zudem musste auch der Sachverständige aus Hamburg anreisen.

Die Richterin befragte zunächst den Mandanten, nachdem ich ihr offeriert hatte, dass dieser Angaben zur Sache abgeben würde. Nikolaos K. gab just jenen Wortlaut wieder, den ich ihm zuvor eingebimst hatte. Er lief dabei zur Höchstform auf. Dann wurde sein Bekannter, der einzige Augenzeuge des behaupteten Autodiebstahls, aufgerufen. Auch dieser gab jene Angaben wieder, die er bereits gegenüber der Polizei gemacht hatte.

Es folgte der zuständige Versicherungsangestellte der LVM aus Münster, der nur bestätigen konnte, dass der Nissan ZX 300 bei der Assekuranz vollkaskoversichert worden sei und stellte sodann jene hypothetische Behauptung auf, dass es sich nach seinen Erkenntnis nicht um einen Diebstahl handeln könne. Ich befragte den LVM - Mitarbeiter. Doch der blieb bei seiner unbewiesenen Annahme.

Zuletzt wurde der Schlüsselsachverständige aus Hamburg befragt. Auch er gab das an, was er bereits in seinem Gutachten ausgeführt hatte. Von dem Hauptschlüsselsatz muss ein Nachschlüssel gefertigt worden sein.
Ich stellte ihm die Frage, ob dieses auch ohne Wissen des Mandanten erfolgt sein könne, etwa durch einen Schlüsselabdruck.  Er bejahte dieses. Danach wurde der Sachverständige entlassen.

Die Staatsanwältin stellte während der Verhandlung nicht eine einzige Frage. Eher gelangweilt verfolgte sie der Verhandlung. Sie wusste längst, dass aus der erhobenen Anklage nichts werden würde. Die Beweislage gegen den Autobesitzer K. war viel zu dünn.

Dann schloss die Richterin die Verhandlung und bat die Staatsanwältin um ihr Plädoyer. Und dieses lautete - wenig überraschend - auf Freispruch.
Ich schloss mich dem Antrag der Staatsanwaltschaft an.

Eine Viertelstunde später verkündete das Gericht sein Urteil. Es lautete ebenfalls auf Freispruch.
Das war´s für´s Erste. Der Mandant verstand nur Bahnhof. Ich erklärte ihm, dass das Verfahren erledigt sei, weil die Staatsanwaltschaft mit ihrer Anklage nicht durchgekommen sei. Die Dame von der Gegenseite protestierte kleinlaut.

Wir verließen den Sitzungssaal.

Ich rechnete das Strafverfahren gegenüber der Staatskasse ab. Nun, ja, es waren gerade so kostendeckende Gebühren.

Einige Monate später trafen wir uns vor dem Landgericht - Zivilkammer - in Bremen wieder. Hier hatte ich für Nikolaos K. eine Klage wegen der verweigerten Leistungen aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag erhoben. Die anfallenden Kosten übernahm - das war eigentlich kein Novum - die der eigenen Versicherungsgruppe , der LVM also, zugehörige Rechtsschutzversicherungsgesellschaft. De facto klagte damit das Gesamtunternehmen gegen sich selbst.

Die LVM hatte ein größeres, alteingesessenes Anwaltsbüro beauftragt. Doch das nutzte hier nicht viel. Der Vorsitzende Richter sah die Rechtslage so, wie sie auch in der von mir gefertigten Klageschrift zum Ausdruck kam: Die beklagte LVM muss aufgrund des abgeschlossenen Vollkaskoversicherungsvertrages den Diebstahlschaden ersetzen. Zwar nicht in der eingeklagten Höhe von 114.000 DM, weil die zusätzlichen Arbeiten für das Tunen des PKWs nicht im Versicherungsvertrag enthalten seien, wohl aber den Neuwert des Fahrzeugs.

Der Vorsitzende Richter hatte jedoch keinen Bock auf ein mehrseitiges Urteil und schlug deshalb vor, dass die LVM den Listenpreis des PKW in Höhe von 98.000 DM sowie den zusätzlich angebrachten Heckspoiler in Höhe von 500 DM zahlt.

Der arrogante Pinsel von der LVM aus Münster, der uns noch kurz vor dem Beginn der Verhandlung in dem Flur des altehrwürdigen Bremer Landgerichts, schäle Blicke zugeworfen hatte, willigte nach sanften Druck des Kollegen aus dem Bremer Großbüro schließlich ein.

Einige Wochen später sandte die LVM einen Verrechnungsscheck über den Betrag und überwies alsbald die Gebühren auf mein Konto. Es hatte sich für mich gelohnt; mehr aber noch für den Mandanten.
Dessen Nissan ZX 300 Twin Turbo fuhr längst irgendwo in Griechenland herum. Er hatte ihn dort verkaufen lassen.

Gastronomen können durchaus erfinderisch sein, wenn sie klamm sind.



" Blues Creation " - " Empty Heart " - 1971:








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