Baustelle
Gestern Vormittag habe ich es nun endlich fertig gebracht, den DIN A4 - Umschlag mit dem Rentenantrag zur Postfiliale in der Gröbelstraße zu bringen. Ich benötigte eine zusätzliche Briefmarke für 5 Eurocent. Diese gibt es an den dortigen Automaten.
Das Wetter lud nicht zu einem Fußmarsch ein. In der Nacht zuvor hatte es noch geschneit. Doch ab 10.00 Uhr setzte dann Regen ein. So stakste ich die die Dölzschener Straße bis zur Clara - Zetkin - Straße und über die Bünaustraße, die Anton - Weck - Straße sowie die Schillingstraße bis zur Kesselsdorfer Straße.
Seit dem 14.01.2019 wird dort gebaut. Der gesamte Straßenabschnitt von der Poststraße bis zum Drei Kaiser Hof und der Tharandter Straße soll von dem Autoverkehr frei gehalten werden. Die Zentralhaltestelle der DVB wird groß zügig umgemodelt.
http://www.dresden.de/de/rathaus/aktuelles/pressemitteilungen/2018/06/pm_070.php
Betrachtet der Ortskundige dieses Vorhaben etwas genauer, wird er zu dem Schluss kommen: " Das wurde aber auch Zeit! " Für die Nutzer der Öffentlichen Verkehrsmittel ist der vorherige Zustand eher eine Zumutung gewesen. Nun fahren keine Autos, Busse und Bahnen durch den gesperrten Teilabschnitt der Straße. Aber, es besuchen dafür auch nicht mehr so viele Kunden die dortigen Geschäfte. Die aufgerissene Fahrbahndecke, die Absperrelemente und der demnächst einsetzende Baulärm schrecken zudem vom Einkauf ab. Immerhin nutzten zuvor mehrere Tausend Fahrgäste den Halteknotenpunkt Tharandter Straße genutzt.
Dieses waren potenzielle Kunden. Das ist nun aber voraussichtlich bis November 2019 vorbei.
Es herrschte nahezu Totenstille, auch auf den Gehsteigen.
Während ich meinen Kurzeinkauf erledigte, erinnerte ich mich an die Zeit als ich eine Wohnung in der Waterloostraße 50 gemietet hatte. Diese lag einst im zweiten Stock eines Altbaus. Die Straße mündete genau dort in die sehr belebte Gastfeldstraße. Hier verkehrten unter anderem auch Linienbusse. Dagegen war prinzipiell nichts einzuwenden. Schließlich würde eine Großstadt ohne den Öffentlichen Personennahverkehrs einen permanenten Verkehrsinfarkt erleiden.
Doch die Gastfeldstraße war in jenen frühen 1990er Jahren mit einer Kopfsteinpflasterung ausgestattet. Die wiederum auf einen, bereits für das damalige Verkehrsaufkommen, völlig unzureichenden Grund aufgelegt worden war. Jahrzehnte davor zuckelten allenfalls einige Gespanne durch diesen Straßenzug. Auch die Straßenbahn bediente mit ihren kleinen, dafür einen infernalischen Lärm verursachenden Zügen, hier eine Linie. Die gesamte Gastfeldstraße hatte zu Vor - und Nachkriegszeiten noch den Charakter einer Allee.
Nachdem es auch den Weltkriegs geplagten Bremern nach und nach finanziell besser ging, schafften sie sich Autos an. Die Straßenbahnlinie wurde eingestellt, der Allee artige Flair der Straße durch Abholzen der vielen Bäume nachhaltig zugunsten des Individualverkehrs verändert. Der Straßenbelag indes verblieb. Damit entstanden auch die ständig zunehmenden Nachteile für viele Bewohner.
Der Straßenverkehrslärm, die damit einher gehenden Emissionen und Immissionen nahmen zu.
An den Hausfassaden, den Wänden und Decken entstanden Spannungsrisse, die - je nach Lage des Objekts - mehr oder minder gravierend waren. Diese Schäden stammten nachweislich von dem, diese Straße nutzenden Bus - und Schwerlastverkehr. Und wie es sich anfühlt, wenn Busse und LKW durch die Gastfeldstraße donnerten, durfte ich x - mal selbst erleben. Während ich mich nach Feierabend gemütlich in einen Billig - Sessel fläzte, um eine aufgelegte LP zu hören, donnerten Busse oder LKW die Straße entlang und ließen die Abtastnadel über das kostbare Stück rutschen oder gleich den gesamten Tonarm hüpfen.
Bereits nach zwei Jahren zeigten sich überall an den Innenwänden der zur Gastfeldstraße ausgerichteten Räume eine Vielzahl von Rissen. Ich zeigte diese dem Vermieter. Der zuckte nur mit den Achseln und antwortete nur kurz mit: " Das kommt vom Verkehr ". Das war´s dann für ihn schon.
Nachts fuhren zudem Taxen und Hobby - Rennfahrer mit überhöhter Geschwindigkeit die Kopfsteinpflasterstraße entlang. Durch das Abrollgeräusch der hinunter jagenden Fahrzeuge war es nicht möglich, das Schlafzimmerfenster zu öffnen; was im Hochsommer natürlich einen unangenehmen Effekt mit sich brachte - in der Wohnung stand die Hitze.
Irgendwann reichte es mir. Ich schrieb an den Bausenator und schilderte die Wohnsituation. Einige Wochen später erhielt ich eine Antwort. Die Behörde prüfe die Angelegenheit und würde zunächst Messungen durchführen. Immerhin schon mal etwas Licht im dunklen Tunnel. Es vergingen weitere Monate. Es tat sich nichts. Ich schnappte mir meine Kamera und fotografierte die die Straße herunter donnernden Busse. Dann recherchierte ich, welches Unternehmen diese Monster dort fahren lässt.
Ich schrieb an den Betrieb und drohte in dem Brief mit Schadenersatzforderungen wegen der wackelnden Wände, der klappernden Regale, den klirrenden Gläsern und der hüpfenden Tonabnehmernadel.
Der Brief zeigte Wirkung. Einige Zeit später fuhren die Busse gesittet die Gastfeldstraße herunter. Na, bitte! Geht doch!
Inzwischen hatte ich die anderen Anwohner sensibilisiert, denn die durften mein Flugblatt lesen, dass ich mit anderen zusammen verfassen konnte. Wir gründeten eine Interessengemeinschaft und machten beim Bausenator Druck. Das half. Es wurde eine Umgestaltung der Gastfeldstraße geplant. Das war zumindest ein Teilerfolg. Doch für mich kamen die Baumaßnahmen zu spät. Ich zog aus und konnte nur noch am Rande mitbekommen, wie etwa 4 Jahre später eine Baustelle eingerichtet wurde.
Die Fahrbahn wurde komplett erneuert. Mit der Baustelle verschwanden auch die Bushaltestellen. Dieses hatte zur Folge, dass ein kleines Bekleidungsgeschäft aufgeben musste. Die Laufkundschaft blieb weg und der Umsatz sackte ab.
Und just dieses wird auch den Geschäften an der Kesselsdorferstraße widerfahren. Für einige kann es den Ruin bedeuten. Für andere wird sich diese Baustelle nicht so dramatisch auswirken. Es sind " nur " Filialen von großen Handelsketten. Die können die massiven Umsatzverluste eher verkraften.
Für den Inhaber des kleinen Geschäfts in der Gastfeldstraße indes, wurde die Baustelle zu einem Existenzkampf. Er gab den Betrieb auf und arbeitete eine Zeit lang in einem Bremer Unternehmen. Irgendwann muss er das Geschäft dann wieder eröffnet haben.
Das Leben geht weiter, auch wenn es in seinem Ablauf manchmal unterbrochen wird.
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