Katzenbiss



Zu Beginn meines Jurastudiums war ich in den Rechtsbereichen allgemeines Zivilrecht sowie Arbeits - und Sozialrecht bereits ein wenig vorbelastet. Doch von der Relationstechnik hatte ich einst noch keine Ahnung. Und deshalb besuchte ich auch fleißig die ausbildungsbegleitenden Seminare, die uns während der praktischen Ausbildungsabschnitte angeboten wurden.

So auch jene Veranstaltung die den Jurastudenten das allgemeine Zivilverfahrensrecht, insbesondere die Zivilprozessordnung, näher bringen sollte. Dazu war auch ein Richter am Hanseatischen Oberlandesgericht als praxisnaher Dozent in den Seminaren anwesend. Der hatte uns regelmäßig viele vorbereitete Skripten mitgebracht. Ein Luxus, wenn ein Nichtkundiger hierbei zu bedenken hat, dass in der traditionellen Ausbildung dieses über teure Repetitorien extra bezahlt werden muss.

Nun, die Bremer Universität war einst Reform - Uni und weil sie dieses damals noch war, hatte sie etwas mehr Geld zur Verfügung als die anderen Hochschulen. Somit konnte sie sich auch im Jurastudium eine durchaus opulente Lehrkörper - und Lernmittelausstattung leisten. Das ist heute längst anders. Wer jetzt in Bremen Jura studiert, benötigt wohlhabende Eltern(teile ), einen langen Atem und einen Repetitor ( oft nicht nur einen ) im Zivilrecht.

Dieser wird - sofern er etwas auf Tradition wert legt - im geleckten Outfit der zahlenden Zuhörerschaft in den kleineren Arbeitsgruppen die intellektuellen Wohltaten aus dem Fundus des Marktführers Alpmann Schmidt ( AS ) kredenzen und dazu entsprechende Unterlagen verteilen.

Googelt der Interessierte mal mit " repetitorium jura kosten ", so wir ihm klar, dass dieses lernindustrielle Geschäftsmodel nicht gerade billig ist. Aber ohne AS und Co. rückt das Bestehen des 1. Staatsexamens in sehr weite Ferne. Somit steht mehr denn je fest: Kann eine Jurastudentin von Papa keine finanzielle Unterstützung während der Dauer ihres 6 - bis 7jährigen Leidenswegs erfahren, sollte sie sich zumindest einen finanziell potenten Lebensabschnittsgefährten zulegen oder überdurchschnittlich gut aussehen - oder gar alle drei Voraussetzungen mitbringen. Sonst dürfte es Essig mit einem rechtswissenschaftlichen Abschluss sein. Für Kerle gilt nur das Erstgesagte.

Wie dem auch heutzutage sei, auch an der einstigen Reform - Uni ( die bei der schwarz - braunen Hetzern außerhalb der Freien und Hansestadt sowie bieder - bürgerlichen Bremern als " Rote Kaderschmiede verschrien war ) liegen die durchschnittlichen Klausur - Durchfallsquoten bei nahezu 50 %. Nicht nur aus purer Neugier sah ich mir zu Beginn der Nullerjahre die Ergebnisse einer Zivilrechts oder BGB - Klausur im Aushang vor dem Zimmer eines Hochschullehrers an und kam aus dem Staunen nicht heraus. Datenschutzrechtlich von 1 bis ad infinitum  korrekt aufgelistet, hagelte es  - wie bei einem Programmieralgorithmus - 2 und 3 Punkte, ehe dann - endlich - die erste 4 und - welch Wunder - gar ein 5 oder - sensationell - eine 6 auftauchte. Was in der tradierten  Notengebung als schlechte bis miserable Leistungsbewertung gilt, hat bei der Punktevergabe den umgekehrten Sinn. Ergo: Viele Punkte = alles gut; unter vier Punkte = durchgefallen!

( Vgl. hierzu u.a.: https://www.iurratio.de/die-juristische-benotung/ )


Okay, ich möchte nicht weiter über die Nichtbegabten aus den Jahrgängen nach 1970 lästern und schon überhaupt nicht über jene der 90er - bis Nullerjahre, aber wer glaubt mit einem " Aldi " - Abitur den " große " Karriere durch die Juristerei anleiern zu können, dürfte heute mehr denn je schief gewickelt sein.

Am Ende des vierten Semesters wurde es für alle noch verbliebenen mehr als 110 Studenten meines Jahrgangs 1980 dann ernst. Es drohte die Praxis in vier Abschnitten, davon drei in der bremischen Dritten Gewalt sowie in der übergroßen - auch außerhalb tätigen - Anwaltschaft.

Die sechsmonatige Zivilstation beim Landgericht Bremen absolvierten vier weitere Studienkollegen mit mir bei der 2. Zivilkammer. Diese war auch für Mietrechtsstreitigkeiten zuständigen. Und dort kannte ich mich als Aktiver des Mieterrats für das " Mensa Wohnheim " inzwischen ein wenig aus.

Weil meinem Studienkollegen und mir das Mietrecht im wahrsten Sinne des Wortes im Portemonnaie lag, denn wir wohnten zu diesem Zeitpunkt beide im Wohnheim, bekamen wir gleich einen Berufungsprozess als Übungsakte auf den Tisch gelegt. Diesen bearbeiteten wir zu der vollen Zufriedenheit des Kammervorsitzenden H. Auch die Folgefälle konnten wir durchaus elegant vortragen und eine Lösung / ein Votum präsentieren.

Doch die Prüfungsarbeit, die ich bekam, hatte mit alledem nüscht zu tun. Es handelte sich um profanes Deliktsrecht. Tja, weil ich mit dem Ausbilder, dem Beisitzer der 2. Kammer inzwischen auf Kriegsfuß stand, der mich nicht besonders mochte, denn ich hatte ihn - eher unbewusst -  brüskiert hatte ( er war als Schwerbehinderter aufgrund der einzuhaltenden Quote in den Richterstand hinein gerutscht, obwohl seine Abschlüsse eher mäßig waren ), würgte er mir einen Berufungsfall der besonderen Art rein.

Es ging um einen " Katzenbiss ". Genauer gesagt: Ein Kater hatte einer ältere Frau beim " Streicheln / Kraulen "  in die rechte Hand gebissen. Die eher kleine Wunde entzündete sich daraufhin und die Dame laborierte an dieser eher als Bagatelle zu bezeichnenden Verletzung sehr lange herum.Sie verlangte nun von dem Katzenhalter und damaligen Betreiber eines Autohauses Schadenersatz; vornehmlich Schmerzensgeld.

Nach dem üblichen vor prozessualen Geplänkel erhob ihr Rechtsanwalt Klage. Aber nicht bei dem Amtsgericht Bremen, sondern wegen einer nahezu utopischen Schmerzensgeldhöhe und einem nachgelagerten " Feststellungsantrag ", den der Anwalt mit mehr als 1.000 DM bezifferte hatte, lag die sachliche Zuständigkeit nunmehr bei dem Landgericht.

Die Beklagtenseite bestritt - wie üblich - nicht nur den geltend gemachten Anspruch, sondern auch den gesamten Sachverhalt und warf der klagenden Dame sogar ein grob fahrlässiges Verhalten vor, womit ein Schadenersatzanspruch unisono abgelehnt werden müsste.

Nach ellenlangen Schriftsätzen ging es dann ans Eingemachte. Der Ausbilder und Richter am Landgericht W. hatte den benannten Zeugen, den Lebensgefährten der Dame, geladen. Dieser war Polizeibeamter. Der sagte dann im Sinne der Klägerin aus. Daraufhin erließ der Ausbilder als Einzelrichter im Namen der 2. Zivilkammer ein so genanntes Grundurteil. Hierin gab er der Klage dem Grunde nach statt und führte hierzu aus, dass der Klägerin weder ein grob fahrlässiges Verhalten, noch ein Mitverschulden an der erlittenen Verletzung und den Verletzungsfolgen träfe, denn diese seien - so der ein vernommene Zeuge - sehr wohl durch den unversehens erfolgten Katzenbiss verursacht worden. Der Katzenhalter sei deshalb für das Handeln des Tieres verantwortlich, denn er hätte die Katze nicht auf den Verkaufstresen lassen dürfen.

Dann begründete er kurz, warum er als Richter davon überzeugt sei, dass der Zeuge glaubhafte Schilderung des Vorfalls gegenüber dem Gericht gemacht habe. Er sei nämlich Polizeibeamter und damit schon von Berufswegen mit genauen Beobachtungen und dem Erfassen von Sachverhalten geschult und täglich damit befasst.
Das hätte er nicht in das Urteil schreiben sollen. Die Beklagtenseite legte auch schon deshalb Berufung bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht ein und das hob sein Urteil auf und verwies es an die Kammer zurück.

Unser Ausbilder hatte jetzt ein Problem. Wie sollte er begründen, dass der einvernommene Zeuge, der Polizeibeamte also, glaubhaft sei?

Und so legte er mir die Aktenschwarte als abgeschichtete Prüfung vor, in der Hoffnung, mir fiele als engagierte Rechtspraktikant etwas besseres ein. Doch da hatte er sich getäuscht. Während ich die Prozessakte mühsam durchkämmte und alles - nach meiner Ansicht - erforderliche in Form der mir bekannten Relationstechnik auf mehrere DIN A4  - Seiten pinselte und mich mit der Frage, was denn eigentlich ein Grundurteil sei, übersah ich die eigentliche Falle in der Prüfungsaufgabe. Warum also folgt das Gericht dem Klägervortrag, wonach die die Verletzung durch einen Katzenbiss hervor gerufen worden war?

Ich schrieb nur eine abgewandelte Beweiswürdigung des aufgehobenen Urteils in mein Votum und behauptete darin schlankweg, dass der Zeuge eben glaubwürdig war. Tatsächlich aber hätte der Prüfer ein paar Sätze gesehen, warum er das sei. Die fehlten aber. Deshalb schrieb mir der Ausbilder glatt in die Beurteilung, dass ich dieses elementare ZPO - Erfordernis nicht ausgearbeitet habe.In der mündlichen Begründung behauptete er zudem, er habe sogar überlegt, mich durchrauschen zu lassen.

" Dieses A........ ", dachte bei mir. Nach außen hin einen auf links - alternativ machen, das damalige Kultbuch von George Orwell " 1984 " auf dem Schreibtisch in seinem Dienstzimmer zur Schau stellen, sich in Bremer Szenekneipen herum treiben, aber dann in seinem Urteil behaupten, ein Polizist sei auch als Zeuge in einem Zivilprozess per se schon glaubwürdiger als andere.

Als der Kammervorsitzende das Prüfungsergebnis und die Beurteilung unterschrieb, guckte er kurz zu dem Ausbilder auf und gab dann vorwurfsvoll von sich: " Wie können Sie nur einen solch komplizierten Fall einen Rechtspratikanten als Prüfungsarbeit geben, Herr W. ? "
Ich hatte bei dem Vorsitzenden Richter nicht nur wegen meiner Aktivitäten in dem Mieterrat einen Stein im Brett, sondern auch deshalb, weil wir in einer anderen Akte, die vor vorzubereiten hatten, dank meiner zuvor zur Hilfe genommen Skripten zur Relationstechnik herausgefunden hatten, dass in diesem als Berufungsverfahren zu entscheidenden Fall die erforderliche Berufungssumme gar nicht erreicht worden war und das Rechtsmittel schon deshalb unzulässig wäre.

Die Kammer hatte das wohl das übersehen. Der Vorsitzende schien uns dafür dankbar zu sein, denn der Termin zur mündlichen Verhandlung stand bereits am darauf folgenden Donnerstag fest. So konnte er selbst damit glänzen, die Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts als unzulässig zu verwerfen, wenn sich die Parteien nicht augenblicklich über einen Vergleich schiedlich friedlich einigen sollten. Das zog.

Was aus dem " Katzenbissurteil " geworden ist, habe ich indes nie erfahren. Vielleicht sind die Parteien auch in einen Vergleich hinein geprügelt worden? Es bot sich ja auch eigentlich an, denn wer eine fremde Katze anfasst, muss damit rechnen, dass diese eventuell beißt und kratzt. Vor allem dann, wenn der fremde Katzenfreund sich noch mit den Modalitäten eines Autokaufs und dem Verkäufer beschäftigt und die Katze sich zurückgesetzt fühlen muss.


" Toundra " - " Viesca " - 2015:












 

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