Herbstliche Zwangspflanzaktion




Als ich vor knapp 50 Jahren die Berufsaufbauschule ( BAS ) in Stadthagen besuchte, war mein Leben wieder im Lot. Die blöde Bundeswehr, den Barras, den " Bund " hatte ich endlich hinter mich gebracht. Die letzten Tage meiner übergangsweisen Tätigkeit als Verkäufer bei der Herm. Altenburg KG in Bückeburg brachen an. Ich hatte dort gekündigt.

Ab Mitte April 1974 war es dann soweit. Ich durfte für zwei Jahre erneut die Schulbank drücken. Dieses Mal freiwillig. Über den quälenden Umweg des Zweiten Bildungswegs schickte ich mich an, die Fachhochschulreife zu erlangen.

 Weil die Schulzeit bekanntlich mit Schulferien eine nahezu symbiotische Verbindung vorweist, gab es auch während des beinahe zweijährigen Versuchs eine Formeiner Studienzugangsberechtigung zu erlangen, reichlich so genannte unterrichtsfreie Zeit. So auch im Herbst des Jahres 1974. Von Anfang bis Mitte Oktober starteten im Bundesland Niedersachsen die Herbst - oder auch Kartoffelferien. Für immerhin 9 Werktage durften einige Hunderttausend Schüler sich von dem - durchaus stressigen - Schulalltag erholen. 

In jenen Jahren war es nicht oder kaum möglich, bestimmte Unterrichtsfächer abwählen zu können. Schon gar nicht in den von mir besuchten Bildungszweig. So sollte jene Freizeit denn eigentlich dazu verwendet werden, die vielen Lücken innerhalb der verpflichtenden Fächern zu schließen ( es zumindest zu versuchen ). Meine Schwächen lagen - dieses war auch damals nicht so selten - in den naturwissenschaftlichen Fächern ( Mathematik, Chemie ). Nun, dieses zu ändern, setzte ich mich an den ausrangierten Wohnzimmertisch, der in meiner 14 m² - Unterkunft mit Schräge stand. Die entsprechenden Bücher aufgeklappt, versuchte ich mich mit den mir - oft - gänzlich unbekannten Formeln, Termen und mehr auseinanderzusetzen.  

Doch der graue Alltag in jenen Ferientagen, in denen es nicht um Chillen, Urlaub irgendwo im Süden oder Saufabende mit Freunden / Mitschülern ging, sondern eher darum, das reibungslose Funktionieren des proletarisch geprägten Haushalts mit aufrechtzuerhalten.

Mein Bruder war inzwischen ausgezogen; meine Schwester absolvierte das letzte Jahr ihrer Banklehre. Beide waren deshalb hierbei nicht einsetzbar. Ergo: Die gesamte, unentgeltliche Fronarbeit im elterlichen Doppelverdiener Haushalt blieb bei mir hängen.    

 Während ich die Tage bis zum Ende der Kartoffelferien förmlich herbeisehnte, kam es dabei zum Super - GAU. 

Die Eltern - nie einer Meinung, wenn es um grundlegende Dinge, wie die Ausstattung der eigenen Vier Wände im mittlerweile umgewidmeten Einfamilienhauses ging - hatten sich mal wieder ordentlich gefetzt. Es ging nicht um teurere Möbel, um Zimmerrenovierung oder Entrümpelungsaktionen, sondern um die Gartenumgestaltung.

Unsere Mutter, mit einem 50 %igen vogtländischen Sturkopf genetisch belastet, hatte sich in den Selbigen eine umfassenden Neugestaltung des mindestens 600 m² großen Gartens gesetzt. Das war mit unserem Vater nicht zu machen. Der verweigerte sich. Zum einen, weil diese Aktion einige Hundert Deutsche Mark kostete, zum anderen, weil sie mit körperlichen Anstrengungen verbunden war.  

Ehekrach hin, Uneinigkeit her, die Lösung ihres Problems lag auf der Hand bzw. wohnte im eigenen Haus und zwar in Gestalt des ältesten Sohnes. Und der war ich nun einmal.

So wurde denn die zwieträchtige Situation in jenen Herbsttagen wie folgt gelöst:

Nachdem ich - so meine Erinnerung - von einem Schulkollegen aus einem Nachbarort zurückkam, wartete der vogtländische Hauptfeldwebel in Gestalt unserer Mutter bereits gestiefelt und gespornt in der Küche auf mich. Mit ernstem Blick und in einem schnarrenden Befehlston, gab sie mir eindeutig zu verstehen, dass mein Erholungstag noch längst nicht beendet sei, denn " wir " müssten jetzt zu Baumschule fahren. Das " wir " wurde immer dann verwendet, wenn feststand, dass ich zu diversen Pflichten herangezogen werden sollte. Aufgaben und Einschränkungen innerhalb meines eigenen Lebensumfeldes, die deshalb anfielen, weil sich andere, die hieraus einen Nutzen zogen, sich ihrer Erfüllung verweigerten.

Ich kannte das längst aus der Schulzeit, während der Lehre war es auch nicht anders und beim Barras schon gar nicht. Schließlich ging es um das große Ganze, das " Wir ", dem sich angeblich alles und nichts unterzuordnen hatte.

Eine Einstellung, die ich nicht immer teile und geteilt habe.

So fuhr ich denn - eher nichtsahnend, was mich noch erwarten könnte - mit dem weinroten Renault R4, 34 PS, 6 - Volt - Drehstromanlage und " Revolverschaltung " sowie umklappbarer Rücksitzbank inklusive, von der " Feldstraße " über die " Bückeburger Straße ", in die " Neue Straße " ein, die uns nach zirka 150 Metern auf einen Wirtschaftsweg brachte. Hierauf schaukelte mein französischer Klappstuhl noch weitere 500 bis 600 Metern in Richtung der dort vor einigen Jahren entstandenen Bauschule entlang. Einst, nämlich etwa 8 Jahre vorher, war das Gelände eine Erdbeerplantage, auf der ich mir einige Hundert Mark bei der Ernte verdienen konnte, um einen Kassettenrekorder beim damaligen Versandhändler " Neckermann " zu kaufen.

Der  vormalige Betreiber ging Pleite und nun wurde eine Baumschule auf dem Areal betrieben. Dort standen diverse Nutz - und Ziergehölze. So auch Thuja, Lebensbäume, Edeltannen sowie Ziersträucher.

Unsere Mutter stolzierte durch die Reihen und ließ sich - natürlich unter ihrer Anweisung - ein Sortiment zusammenstellen. Nachdem sie dafür an die 400 DM gezahlt hatte, würgte ich einen Teil der von ihr gekauften Ware in den durchaus großen Kofferraum meines französischen Freundes und fuhr mit dieser und der immer noch übel gelaunten Mutter zur " Feldstraße 13 " zurück, lud mit einer Schubkarre die erste Schose aus dem Kofferraum, dessen Boden ich in weiser Voraussicht mit einer Plasteplane und einer alten Decke belegte hatte, und wiederholte das Prozedere zwei Male, ehe die teure Fracht in Reih und Glied auf dem nach kahlen Grundstücksrand aufgestellt war.

Die Fronarbeit war aber damit noch nicht beendet. Nun hieß es auf Anweisung der allerdings mit buddelnden Mutter, die Bäume und Sträucher in die Erde zu bringen. Die mit einem Schutzgeflecht versehenen Gehölze mussten zunächst mit einer Gartenschere davon befreit werden, dann anweisungsgemäß in das zuvor ausgehobene Erdloch gesetzt werden, ehe sie dann mit einer Gartengießkanne bewässert werden konnten.

Nun, die durchaus Schweiß treibende Arbeit hinterließ bei mir, obwohl ich durch den Bund noch gut in Form war, spürbare Rückenschmerzen. Zudem zog langsam Nebel auf. Es wurde kühler, ja, sogar ungemütlich. Mir rann der Schweiß von der Stirn, den Wangen und zunehmend den Rücken entlang. Mein blaues " Trigema " - Sweatshirt wurde bald von außen und innen nass. Irgendwo im Nachbardorf hatten einige Umweltsünder ein Kartoffelfeuer angezündet, der typische Geruch waberte zu uns herüber. Und verschärfte meine Unlust, diese Arbeiten noch weiter fortzusetzen. Ein nebliger Herbsttag kann auf dem Land doch so idyllisch sein, nur nicht, wenn es um Schweiß fördernde Gartenarbeiten geht.

Nach mehr als 2 Stunden waren die über 30 Bäume und Sträucher in der Erde. Der Garten sah jetzt anders aus. Die zuvor kahlen Flächen zeigten einen grünen Anstrich. Doch unsere Mutter konnte sich nicht so richtig freuen. Der Haussegen hing immer noch schief. An den Tagen davor mussten sich unsere Eltern wegen der herbstlichen Pflanzaktion heftig gestritten haben. Ein - wenn auch nur halber - vogtländischer Dickschädel traf auf eine oberschlesischen Geizkragen und Sparfuchs. Das passte in einer solchen Situation dann doch nicht zusammen.

Ach, ja, ich bekam für meine gütige Mithilfe  - oder war es familiäre Zwangstätigkeit? - immerhin 20 Deutsche Mark als " Spritgeld ". Die stammten von der monatlichen  BaFöG -  Zahlung, die bei etwa 225 Mark lag und von der unsere Mutter glatte 150 DM als " Kostgeld " einstrich.

So war sie halt. Immerhin hielten die gesetzten Gehölze mehr als 3 Jahrzehnte stand, wuchsen zum Teil in schwindelnde Höhen von 20 Metern und wichen in einer wüsten Baumfällaktion, die dann für nicht gerade wenig Geld, ein örtlicher Fachbetrieb durchführte, im Frühjahr zu Beginn der Nullerjahre.



BLACKFIELD  -  Blackfield  -  2004:



 

       

  

  

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