Kinderfreud´und Kinderleid in den 1960er Jahren

Als die 50er Jahre und mit ihnen die so genannten Wirtschaftswunderjahre sich dem Ende neigten, war der westdeutsche Teil des jetzt wieder vereinten Landes von der ersten Rezession betroffen. Die Kohle - und auch die Stahlundustrie kriselten. Das Baugewerbe zum Teil auch. Damit stieg die Zahl der Arbeitslosen in bislang nie gekannte Höhen.

Dennoch liest sich die eher kleine Wirtschaftskrise mit den Augen des heutigen Betrachters besehen, eher wie ein Kapitel aus dem Schlaraffenland.

Wirtschaftlich betrachtet, ging es den Westdeutschen größtenteils gut. Die Einkommen stiegen, die materiellen Wohltaten des Kapitalismus veränderten und vergrößerten sich zunehmends und die BRD stieg als Export - sowie Wirtschaftsland im Ansehen bei den ehemaligen Feinden, die längst Verbündete waren.

Was als Fassade nach außen wirkte, bedeutete im Land selbst keineswegs, dass es sich um eine liberale, eine humanistische, eine fortschrittliche Gesellschaft handelte, die dort in der übrigen Welt um Anerkennung, Wiedergutmachung und Erfolge buhlen musste.

Im Inneren des Landes regierte die CDU / CSU und die ihnen zum Vorbild ihre Politik dienenden Fürsten in den Amtskirchen. Die Gesellschaft war mehr denn je in Ober - Mittel - und Unterschicht aufgeteilt. Was sich an dem dreigliedrigen Schulsystem dokumentierte. Zudem waberte der Muff aus den Erziehungsidealen des untergegangenen Faschistenstaates überall. Die Pädagogik wurde diesem Voraussetzungen entsprechend angepasst. Was bedeutete, dass Kinder nicht nur nebenher liefen, sondern überwiegend rechtlos gestellt waren.

Dieses galt sowohl in der Schule als auch im Elternhaus. Erwachsene durften Kinder aber auch außerhalb dieser beiden Heiligtümer züchtigen. Dazu kamen nach und nach Kinderarbeiten. Ob es im Haushalt , im Garten oder innerhalb der Schulzeit so genannte Strafarbeiten waren, dürfte damals keine Rolle gespielt haben. Es ging den Erwachsenen darum, die Macht auszuüben, in dem sie über und für ihre oder fremede Kinder bestimmten. Aufgaben, wie Dutzend Paar Schuhe putzen, Rasen mähen und den Abwasch erledigen, gehörten zu den üblichen Tätigkeiten, die nicht nur unsere Eltern uns auftrugen.

Waren die 1950er Jahre, in denen wir als Kleinkinder noch unter eine Art von Welpenschutz fielen, überwiegend frei von jenen Arbeiten sowie auch Prügel, die es nicht selten wegen Nichtigkeiten gab, so hielt die Schul - und Jugendzeit davon mehr als ausreichend davon bereit. Strafarbeiten, prügelnde Lehrer, schlagende Eltern kamen nicht überall, aber zumindest bis zum Ende der Schulzeit vor.

Doch ab Mitte der 60er Jahre rumorte es in der BRD - Gesellschaft. Teile der Jugend aus überwiegend Bürger - Elternhäuser begehrten gegen die auch dort praktizierte Spießigkeit auf.  Gegen Ende des Jahrzehnts gingen Studenten auf die Straße und demonstrierten gegen das verlogene Gesellschaftssystem.

Das galt allerdings nur für die Großstädte. In der Provinz kam von einem Aufbruch wenig an. Nahezu ereignislos verlief somit nicht nur unsere weitere Kindheit und Jugendzeit. Sie war vorgeben von einem autoritären, auf Angst aufgebauten Umfeld. Meine beiden Geschwister und auch ich wurden nach der 9. Klasse als eher mittelmäßige Schüler von der Volksschule in Heeßen in den nächsten Lebensabschnitt entlassen.

Mein Bruder begann 1970 eine Lehre in einem Einzelhandelsgeschäft für Herrenoberbekleidung in Bückeburg. Ich tart bereit ab 1. April 1969 eine Einzelhandelskaufmannsausbildung bei der Herm. Altenburg KG an. Auch meine Schwester begann ab 1973 eine Lehre als Bankkauffrau, nachdem sie von 1971 an, die zweijährige Höhere Handelsschule in Rinteln besucht hatte.

Doch zuvor mussten wir eben die piefig - miefigen 1960er Jahre in der schaumburger Provinz überstehen, wozu auch das Obengesagte zählte. Hierin kam dann ab Mitte der Dekade die Beatmusik auf. Auch als Landeier interessierten wir uns natürlich für jene Jugendmusik, die nicht nur von den Beatles, den Rolling Stones oder " The Who ", Jimi Hendrix, Janis Joplin sowie Donovan geprägt wurde.

In den späten 1960er Jahren bauten wir einen ehemaligen Kohlenkeller zu einem " Beatkeller " um, in dem später neben einer zusammen gebastelten und gekauften Stereo - Anlage, auch ausrangierte Matratzen, ein ehemaliges Kellerregal, dass zum Tresen umfunktioniert wurde, standen. Der " Beatkeller " war der Rückzugsort vor dem Erwachsenenleben und auch dem der eigenen Eltern, dass aus Arbeit, Schwarzarbeit, Geld einsacken, Autokauf, Urlaubsreisen sowie Umgestaltung des Einfamilienhauses bestand.

Ab dieser Zeit trennten sich die Wege von uns. Wir hatten alsbald eigene, von einander unabhängige Freundeskreise. Langsam versuchte jeder eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Dieses war eher schwierig, solange wir im elterlichen Haus lebten; wenn auch in eigenen Zimmern.

Mein Bruder, der bereits früher eher mutiger, ein wenig draufgängerischer war als ich, lernte jetzt Unmengen an Mädchen kennen. Er begann mit dem Rauchen, kaufte sich heimlich Filterzigaretten von " Peter Stuyvesant " und trank auf den Partys Cola mit Rum oder das widerlich süße " Cinzano " - Zeugs mit Eis und Zitrone.

Eine Brille musste er längst nicht mehr tragen, seine Polypen hatte er bei einer OP abgenommen bekommen, einen Leistenbruch überstand er im Krankenhaus schadlos. Nach und nach wurde aus ihm ein junger Mann, der - so wie ich auch - seinen eigenen Lebensweg suchen musste. Als die angeblichen wilden 60er / 68er sich dem Ende neigten, er ab April 1970 seine Berufsausbildung antrat, begann auch für ihn ein neuer Abschnitt.

Inzwischen hatte sich vieles verändert, jedoch nicht verbessert. Das Erwachsenenleben drohte auch ihn schon bald einzuholen. Die Kindheit der 1960er Jahre war eigentlich vorbei.


BOB DYLAN  -  They Times They Are Changin´ -  1964:




















THE ANIMALS  -  Ring Of Fire  - Love Is  -  1968:














SIMON &  GARFUNKEL  -  The Sound Of Silence  -  Wednesday Morning 3 A.M.  -  1964:









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