Das 9 - Euro - Ticket: Stoßen, Drängeln, Pöbeln, Schwitzen!
In 13 Tagen endet ein - wohl einmaliges - Experiment in diesem, unserem, von der Sommerhitze so gequälten Land: das so genannte 9 - Euro - Ticket.
Irgendwann danach werden gut bezahlte Akademiker für die Bundesregierung, die Deutsche Bahn und andere Wissbegierige viele Zahlen, Statistiken sowie Berichte anfertigen, denn eine Evaluierung zu jenem Versuch, dem Durchschnittsmichel für drei Monate eine de facto Gratisreise mit bestimmten Zügen des - immer noch - Staatsunternehmens Deutsche Bahn zu ermöglichen, dürfte bereits beschlossen worden sein.
Was dann allerdings eher nicht in die nüchternen Zahlen, Statistiken und Berichte einfließen dürfte, sind jene unsäglichen Begleiterscheinungen, die durch die staatliche Subventionswohltat hervor gerufen wurden. Bedingt werden sie - immer noch -, weil der hierin immanente Konflikt, wenn Masse Mensch auf Massentransportmittel stößt, es massenhaft zu Ausfällen kommt. Gemeint sind nicht jene logistisch - technischen Probleme. die alsdann zu Zugausfällen führen, sondern das tierische Verhalten der in den zu vollen Zügen eingepferchten Kunden.
Wer mit dem Massentransporteur Deutsche Bahn zu der oberbayrischen Touristenattraktion Schliersee fahren möchte, der sollte, nein, der muss, in diesen Tagen sehr viel Geduld mit bringen. Dieses wurde mir jedenfalls gestern von zwei Damen berichtet, die das Abenteuer Bahnfahrt eingegangen waren und voller Entsetzen von den animalisch anmutenden Zuständen in den nach dorthin verkehrenden Regionalbahnen berichteten.
Das Reiseziel der beiden Berichtenden liegt zirka 50 Kilometer von der Landeshauptstadt München entfernt.
https://de.wikipedia.org/wiki/Schliersee
Von dort aus verbindet die Regionalbahn ( RB ) 55 den Ort mit der Stadt oder auch umgekehrt. Eine Fahrt ( gemeint ist die Einzelfahrt ) wird regulär mit 18,40 € angegeben. Die Fahrkarte für die Nutzung der 1. Klasse ( dort halten sich für gewöhnlich nur Bahnbedienstete auf ) wird mit 29, 40 € ausgepreist.
https://www.thetrainline.com/book/results?
In den Zeiten des 9 - Euro - Tickets kosten diese Fahrt hin und zurück ( mathematisch auf 31 Tage im August umgerechnet als Einzelfahrt nur 29,03 ) Eurocent = 58, 06. Also quasi nichts. Wenn etwas nahezu nichts kostet, kommen aus dem Nichts plötzlich Menschen an das Tageslicht, deren Leben bislang eher im Verborgenen blieb.
Dieses Phänomen lässt sich in etwa mit jenem Verhalten gleichsetzen, dass in Westdeutschland ab den späten 70er Jahren kurz vor Weihnachten zu beobachten war, als Zehntausende in die Innenstädte ( die City) strömten, die Parkhäuser belegten und sämtliche übrigen, in der nähe gelegenen Parkmöglichkeiten gerammelt voll waren. Ein Versuch, die dort aneinander gereihten, gleichnamigen Kaufhäuser und Filialen irgendwelcher Einzelhandelsketten aufzusuchen, endete kläglich, weil bereits an den Eingangstüren Endstation war.
Der neugierige und kaufwillige Besucher durfte dafür in den Fußgängerzonen und Einkaufspassagen plötzlich, so, wie einst Günther Netzer aus der Tiefe des Raumes mit dem Ball am Fuß erschien, sich mit Menschen tummeln, die er in all den 11 Monaten oder 358 Tagen davor nie gesehen hatte. Ein Horrorszenario entstand, dass eben jenen unbedarft agierenden Innenstadtbesucher schreiend zur umgehend Abfahrt aus der City, die zum Platz des gelebten Grauens mutierte, veranlasste.
Nun, diese üblen Zeiten sind dank des boomenden Online - Handels längst vorbei. Die Innenstädte, einst zur Perle jeder Klein - bis Großstadt aufgemotzt, drohen zu veröden. Ein Besuch in jener Vorweihnachtszeit wird dennoch zum Spießroutenlaufen, weil die eintönigen Weihnachtsmärkte hier nahezu alle Flächen beschlagnahmt und mit normierten Bretterbuden zugebaut haben. Zudem torkeln bereits in den frühen Nachmittagsstunden von der Glühweinpansche angeschickte Besucher dem Slalomlaufenden entgegen.
So, oder so ähnlich, dürfte es den beiden Damen während ihrer Fahrt von München Hauptbahnhof zum beschaulich liegenden Örtchen Schliersee ergangen sein. In der knacke vollen Regionalbahn passte zwischen den einzelnen Sitzenden ( dieses war die Ausnahme ) und Stehenden ( dieses war die Regel ) kein Blatt Papier. Es muss in den Wagons bei jenen Außentemperaturen wie in einer Sauna zugegangen sein. Nur mit dem Unterschied, dass menschliche Ausdünstungen nicht abgeführt werden konnten.
Die Zugbegleiterin, die höflich, aber durchaus bestimmt, auf die " Maskenpflicht " hinwies, wurde sodann angemeckert, angepöbelt, beleidigt. Plebs bleibt nicht nur Plebs, sondern wird in solchen Fällen zur rasenden Wildsau. Zudem wird beim Einsteigen gedrängelt, geschoben, gestoßen und geboxt. Es schieben sich gleich drei bis vier Fahrgäste durch die Ein - und Ausgangsbereich der Wagons, obwohl allenfalls eine Person je Seite Platz hätte. Das undisziplinierte verhalten gipfelt unter anderen in dem Höhepunkt, dass Fahrräder in die Abteile mit hinein geschoben werden, obwohl dieses untersagt worden ist.
Die rollenden Fleischcontainer zuckeln sodann bis zur nächsten Haltstelle / Station, wo ständig weitere Fahrgäste in den bereits überfüllten Zug einzusteigen versuchen.
In verkürzter Form bekam ich beinahe deckungsgleich jene Erlebnisse geschildert, die sich in diesem Beitrag wieder finden:
https://www.travelbook.de/reisen/zugreisen/chaosfahrt-mit-dem-9-euro-ticket
Und weil es - wie auch in anderen Bereichen des realen Lebens - noch steigerungsfähiges Verhalten gibt, las ich dazu dieses:
Nun stellt sich dem Außenstehenden die begründete Frage, ob der dreimonatige Experiment denn ein Erfolg oder vielmehr ein Misserfolg war?
Bereits vor mehr als 2 Monaten, nämlich während der Pfingstfeiertage, kam es in nahezu sämtlichen Bundesländern auf allen Hauptverkehrsstrecken der Bahn zu chaotischen Zuständen.
Diese setzen sich vor allem auch während der Sommermonate fort. Was zu jenem Zeitpunkt bereits vorausgesagt wurde, trat in vollem Umfang mit Beginn des Sommers beinahe überall auf großen Bahnhöfen ein. Menschenmassen drängten sich zu Menschenmassen. Das staatlich geförderte Chaos nahm seinen Lauf.
Eine Situation, die mich annähernd an jene erinnerte, die sich all jährlich zu den Adventssamstagen in der meisten Städten ( zunächst nur Westdeutschlands ) wiederholte. Plötzlich wollten auch solche Innenstadtbesucher zum Einkaufen in die dortige Geschäfte, die in der gesamten übrigen Zeit hier nie zu sehen waren. Sie quälten sich durch die drängelnden Anwesenden, obwohl sie nie einen Kauf tätigen wollten. Sie schoben sich mit den Hunderten Kunden durch die engen Einkaufstüren der Kaufhäuser, obwohl sie gar nicht vor hatten, eine müde Mark dort auszugeben. Sie verstärkten das organisierte Chaos, das bereits durch jene Besucher entstanden war, die zum Teil ziellos in die Geschäfte gingen, um hier - wenn auch dann mit gefülltem Geldbeutel - nach dem zu suchen, was sie unisono nicht fanden, weil sie keinerlei Vorstellungen bei der Umsetzung des Geschenkewahns zu Weihnachten mit brachten.
Chaos bleibt auch dann ein solches, wenn ohne Not herbei geführt wird, weil eine vielleicht erkennbare gute Absicht, sich in der Lebenswirklichkeit gar nicht umsetzen lässt.
GRAND FUNK RAILROAD - Are Yo Ready - Live Album - 1970:
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