Le(e)hrjahre sind keine Herrenjahren

Am Mittwochmorgen bin ich ausnahmsweise mit unserem E - Mazda zur Norm - Filiale in die Echinger Bahnhofsstraße gefahren. Wir benötigten Blumenerde. Ich nahm mir also einen Einkaufswagen, wuchte zwei 40 Liter - Plastesäcke von einer vor dem Eingangsbereich liegenden Holzpalette in den Metallwagen und schob diesen in das Geschäft hinein.

Nachdem ich weitere Artikel in den metallenen Gefährten gelegt hatte, bewegte ich mich langsam zur Kasse. Dort standen bereits vier weitere Kunden und warteten. Sie harrten eher geduldig, der Dinge, die noch auf sie zukommen würden, denn an der Kasse hatte ein Auszubildender Platz genommen. Angeleitet von der Ehefrau des Filialbetreibers, versuchte der junge Mann seine dann doch sichtbare Nervosität abzulegen.

Ich grinste ein wenig vor mich hin, nachdem ich erkannt hatte, dass ein Auszubildender die Scanner - Kasse bediente. Tja, s dauerte etwas länger als sonst. Doch das brachte mich im Gegensatz zu dem vor mir stehenden Kunden nicht aus der Fassung. Der begann demonstrativ zu Gähnen, schaute einige Male auf sein Chronometer und wartete sichtlich ungeduldig, dass seiner vier bis fünf Artikel abkassiert werden.

Ich erinnerte mich jetzt an meine Ausbildungszeit von April 1969 bis März 1972. Drei lange, überwiegend öde Jahre, musste ich durchstehen. Nur weil ich in der Schule eher faul war, eher dem Fußball hinterher jagte, statt mich auf den berühmten Hosenboden zu setzen, erreichte ich nur einen Volksschulabschluss.

Im Vergleich zu der heutigen Hauptschule, die in Bayern zwar " Mittelschule " heißt, aber de facto nur ein Etikettenschwindel darstellt, denn die Mehrzahl der dort hin delegierten Schüler erhält " nur " - dieses allerdings im Idealfall - nach 9 Jahren einen Schulabschluss. Wer die Chance erhält, danach eine Ausbildung zu beginnen, hat in der Regel mindestens drei weitere Jahre die Schulpflicht zu erfüllen. Er darf dabei einen Berufsabschluss ablegen. Das war es zumeist dann aber auch.

Die Ausbildung von vor 50 Jahren ist mit der heutigen überhaupt nicht vergleichbar. Einst hieß es in einer dazu gebräuchlichen Plattitüde: " Lehrjahre sind keine Herrenjahre ", was nur bedingt die Ausbildungssituation von damals wieder gibt.    

 Tatsächlich waren die Lehrlinge damals nichts anderes als billige Arbeitskräfte, die dabei mit ausbildungsfremden Tätigkeiten, wie Bier holen, Geschäftsräume ausfegen oder irgendwelchen anderen Strafarbeiten betraut wurden. Rechte hatten wir nicht, sondern nur Pflichten dazu zählte auch der regelmäßige Besuch der Berufsschule. Hier wurde zumindest prüfungsrelevantes Wissen vermittelt. 

Die Abschlussprüfungen bestand ich mit einer 3. Ich war auch hier nicht besonders fleißig oder ehrgeizig. So wurschtelte ich mich durch jene 3 Lehrjahre mehr oder minder hindurch. Ich hasste die Lehre eigentlich und flüchtete mich in der Freieizeit in die Welt der Beat - und Popmusik. Hier konnte ich vor mich hin träumen, irgendwie herum spinnen und mich von dem dämlichen Erwachsen werden los lösen.

Tja, ob es dem junge Mann, der da an der Kasse der Norma - Filiale unsicher die auf das Transportband gelegten Waren der Kunden einzugeben hatte, genauso denkt und fühlt, wie ich es vor 50 Jahren tat, konnte er mir natürlich nicht sagen. Dazu hatte er auch gar keine Zeit. Der nächste Kunde wartete bereits hinter mir. Kassieren ist mehr denn je eine eher öde Fließbandarbeit. Sie wird zumeist von Frauen ausgeübt, denn der Verdienst ist nicht gerade üppig. Doch die Tätigkeit an der Scanner - Kasse ist nur eine von vielen Aufgaben. Mitarbeiter im Einzelhandel müssen auch Waren einsortieren, die Bestände überprüfen usw. 

Der Verdienst ist nach wie vor sehr überschaubar. Doch im Vergleich zu jener Zeit, in der ich nach meiner Ausbildung noch einige Wochen in dem ehemaligen Ausbildungsbetrieb tätig war, nahezu phänomenal. Aber nur dann, wenn eine Vollzeitstelle betrachtet wird. Zumeist aber sind es Teilzeit - oder bedarfsorientierte Arbeitsverträge, die hier angeboten werden. Womit die Einzelhandelsbranche insgesamt unattraktiv bleibt. 

Aktuell sind mehrere Zehntausend Ausbildungsstellen noch unbesetzt. Es fehlt an Bewerbern. Angeblich ziehen es viele Schulabsolventen vor, ein Studium auszunehmen oder weiter gehende Schulen zu besuchen. Eine derartige Möglichkeit hatte die Mehrzahl der Volksschüler meines Jahrgangs nicht. 

Ich sprach den jungen Mann an der Kasse an. " Sie schaffen das. Ich habe vor über 50 Jahren auch mal so angefangen. ". Er blickte jetzt zu mir auf. " Ja, danke. ".

Immerhin gilt der dümmliche Satz " Lehrjahre sind keine Herrenjahre " zum größten Teil so nicht mehr. Doch: Ausnahmen bestätigen die Regel?


JETHRO TULL  -  Nothing Is Easy  -  Stand Up  -  1969:




  

 

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