Wenn das Geld nicht ausreicht: Zeitung austragen!


Im Juli vor 10 Jahren verstarb in einer Stadt am Bodensee ein 80jähriger Steuerberater. Der noch bis kurz vor einem Tod seinem Beruf nachgegangen war. Eigentlich wäre ein solches Ereignis kaum erwähnenswert. Doch ich kannte den Verstorbenen. Er hatte uns einige Male während einiger Familienfeiern Gesellschaft geleistet. Und da meine bessere Hälfte mir nach und nach dessen Lebensgeschichte erzählte, konnte ich mir ein Bild über ihn machen.

Der 1931 im heutigen Freistaat Thüringen, an der Grenze zum anderen Freistaat Bayern Geborene, war nach dem Krieg bei einem Finanzamt in der Nähe seines Geburtsortes tätig. Über die Ochsentour des Abendstudium erlangte er die Qualifikation zum Steuerberater. Er ging den Weg in die Selbständigkeit und eröffnete eine Kanzlei.

Nun, die Geschäfte florierten. Auch familiär war F. zufrieden. Er wurde Vater von vier Kindern. Dann verstarb seine Frau an Krebs. Er heiratete ein zweites Mal. Seine zweite Ehefrau brachte eine weitere Tochter mit in die Ehe. Fünf Kinder zu versorgen, ist mehr als nur eine Berufstätigkeit.

Die studierte Frau schlüpfte damit in die Rolle der Hausfrau, Mutter und diese ersetzende Stiefmutter. Solange, bis die fünf Kinder erwachsen und einigermaßen selbständig waren. Der Herr Steuerberater indes kümmerte sich um seinen Beruf, seine Kanzlei, in der er seinen ältesten Sohn hinein zwang. Der jüngere Abkömmling versuchte sich - allerdings mangels erforderlichem Vitamin B - als Dramaturg in München. Das dritte Kind, eine Tochter, zog in die USA, arbeitete hier als Erzieherin, bekam einen Sohn von einem bereits verheirateten Mann und verließ die Vereinigten Staaten für einige Jahre wieder, nachdem ihr Sohn volljährig wurde und aus beruflichen Gründen in England Fuß fassen konnte. Die jüngste Tochter kam mit einer geistigen Behinderung auf die Welt. Sie heiratete einige Jahre nach ihrer Volljährigkeit und bekam drei Kinder.

Für den Steuerberater entwickelte sich die finanzielle Seite des Lebens ebenfalls nicht immer sehr rosig. Zwar brachte er es zu einem soliden Wohlstand. Er ließ einen Bungalow in der Nähe der Stadt bauen, der sogar einen eingebauten Swimmingpool besaß, auch konnte er seinen Kindern ( einschließlich der Stieftochter ) einige materielle Wohltaten ermöglichen, doch der wahre Hintergrund für jene finanziellen Zuwendungen lag nicht immer in seiner Berufsausübung. Da die Stadt in der Nähe zu der Schweizer Grenze liegt, die Eidgenossen ja einst einen eher laxen Umgang mit den dort ansässigen Banken und deren Geschäftsgebaren pflegten, war das hierauf fußende Geschäftsmodell des Steuerberaters F. beinahe nur konsequent.

Wie dem auch sei, die Jahre verflossen. Der Wohlstand des F. vergrößerte sich, womit Geld nicht die entscheidende Rolle spielte. Vielmehr war es der Wunsch, es irgendwie anzulegen, der F. dazu bewog, ein größeres Anwesen zu erwerben. Dieses gedachte er zu sanieren und alsdann im oberklassigen bis Luxussegment zu vermieten. Der Plan scheiterte. F. erlitt mit seinem Projekt eine glatte Bruchlandung. Zudem sprossen die Gelder aus dem lukrativen Nebengeschäft nicht mehr so üppig. Auch der älteste Sohn, den er mehr oder wenige gezwungen hatte, in die berufliche Fußstapfen zu treten, entwickelte keinerlei Ambitionen, die Kanzlei in der vorgegebenen Art und Weise fort führen zu wollen. Mann und Mann überwarfen sich.   

Man ging deshalb beruflich getrennte Wege.

Die letzten Jahre bis vor dem Tod ließ F. eher beruflich ruhiger und finanziell bescheidener ablaufen. Nach seinem Tod im Juli 2012 kam deshalb für die zweite Ehefrau, die Witwe also, bei der Testamentseröffnung des F. das böse Erwachen. Das großzügig anlegte Anwesen, in dem sie viele Jahre gemeinsam gelebt hatten, erhielt die jüngste Tochter zugesprochen. Den drei anderen Kindern hatte F. bereits zu Lebzeiten sowohl Eigentumswohnung als auch ein ausreichendes Finanzpolster angedeihen lassen.

Nur für die zweite Frau war nicht rechtzeitig und vor allem nicht ausreichend im Alter Vorsorge getroffen worden. Sie musste sodann mit einer sehr kleinen Witwenrente und einem noch kargeren Altersruhegeld auskommen. Sie zog deshalb in einen kleineren Ort, in dem auch ihre ältere Schwester lebte. Hier musste sie, um geldlich über die Runden zu kommen, mehr als 4 Jahre lang die lokalen Tageszeitungen austragen. Dass hieß für sie: Morgens ab zirka 4 Uhr aufstehen, die druckfrischen Zeitungen in einem Depot aufnehmen und sie im Zustellbezirk von Haus zu Haus gehend verteilen. Damit konnte sich die Witwe des F. einigermaßen über Wasser halten.

Vor einigen Jahren verstarb dann ihre ältere Schwester. Sie erbte von dieser unter anderem einen PKW und auch ein erkleckliches Sümmchen Bargeld. Die Witwe F. konnte jetzt wieder am Leben teilhaben, denn das kostet nach wie vor Geld. Geld, dass ihr für die Zeit nach dem Tod ihres Mannes, für den sie viele Jahre lang die Familie, vornehmlich seine Kinder versorgt und betreut hatte, nicht zur Verfügung stand, weil Steuerberater F. sie im Alter nicht abgesichert hatte. 


FRED   -  Salvation Lady  -  1971:






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