Der verlorene Fernseher des Robert H.



Es hat einmal eine Zeit gegeben, da galten Fernsehgeräte als Luxusartikel oder auch unbezahlbares Mobiliar. Gut, das ist mindestens ein halbes Jahrhundert her. Doch dank der Massenproduktion von Unterhaltungselektronik, kann sich heutzutage jeder Hans und Franz ein - noch damals als Wunderwerk geltendes - TV - Gerät leisten. Es kostet seit vielen Dekaden keine 3 Monatslöhne oder noch mehr.

Als in Westdeutschland die einst führenden Konzerne aus dem Genre der Bild - und Phongeräteindustrie ihre Hochzeiten hatten, befand ich mich im zarten Teen - und Twenalter. Deshalb kann ich mich genau an die riesigen Holzklötze erinnern, die zumeist in der " Guten Stube ", dem Wohnzimmern standen und wie Gebilde von einem anderen Stern, neben dem piefigen Nierentisch, einer unbequemen Coach oder dämlich aussehenden Sesseln ( auch Cocktailsesseln ) auf einem so genannten Fernsehtisch standen. Zunächst befand sich auf dem Korpusdach dieses Ungetüms eine grau - grüne Steingut - Eule, die als " Rauchverzehrer " diente. Der Grundig - Telefunken - Graetz - Bolzen hatte darüber hinaus auch noch ein weißes Tischdeckchen erhalten, auf dem das Unikum thronte.

Jahre danach wurden die Klötze etwas kleiner, leichter und mit einigen Schnickschnack versehen. Immerhin gab es da längst zwei TV - Hauptprogramme sowie mindestens ein empfangbares ARD - Regionalprogramm. Ab den späten 1960er erhielt dann der Westen dieses, unseres, Landes, einen revolutionären Farbanstrich. Neben " Mehr Demokratie wagen ", durften sich die BRD - Spießer und auch ihre manchmal rebellischen Kinder, die TV - Dauerbrenner " Der Große Preis ", " Einer Wird Gewinnen " oder die öden Silvester - Shows in der bunten Vielfalt der Farben ansehen.

Das PAL - System, welches der Westen in seine Fernsehtechnik eingebettet hatte, führte dazu, dass der böse Osten dem das französische SECAM entgegen setzte.Damit war klar, der Ostler konnte Westfernsehen nur in schwarz - weiß Ausgabe weiter glotzen und ich meine DDR - Oberligaspiele ebenfalls.

Die Einführung des Farbfernsehens führte indes sukzessive zu einem Aus - und Abverkauf der Schwarz - Weiß - Geräte. Doch: Wohin mit den Riesenkloppern, wenn nicht auf den Müll? Und dort wären sie mitsamt ihrem teuren Innenleben eigentlich zu wertvoll. So gab es einen unter der Hand - Verkauf dieser alten Grundig - Telefunken - Graetz usw. - Geräte. Wer nicht genügend DM hatte, um sich einen nagelneuen Farbfernseher leisten zu können, griff bei den billigen Schwarz - Weiß - Geräten sofort zu.
Das Motto lautete also: Alt zu Arm!

Als zu Beginn der 1990er Jahre ein langjähriger Mandant an der Tür meines Home - Office läutete, hatte er unangenehme Post von der Staatsanwaltschaft im fernen Hamburg in seiner speckigen Ledertasche. Robert H. war - wie sonst immer - mit seiner Uralt - Mofa vorgefahren. Er setzte brav seinen Sturzhelm ab und öffnete, um Durchzulüften, seine schnittige, aber gleichfalls betagte Lederjacke, in der er seine Ledertasche einstecken hatte.

Ich bat Herrn H. in mein Hausbüro hinein. Kochte dann einen Kaffee und plauderte ein Weilchen mit dem bereits eisgrauen Mandanten. H. war nur ein oder zwei Jahre älter als ich, doch das Leben, der Überlebenskampf hatte ihn schon sehr gezeichnet. Er wirkte nicht mehr frisch, nicht mehr leicht jungenhaft und war zudem seit vielen Jahren bettelarm. Nach seiner Ehescheidung, die ich auf " Armenrecht " ( Prozesskostenhilfe ) für ihn abgearbeitet hatte, bekam er keinen Job mehr und deshalb Arbeitslosenhilfe ( Alhi ). Herr H. driftete immer weiter nach unten, in das soziale Nichts, die strukturelle Armut, wie sie in seinem Wohnviertel im Stadtteil Bremen - Gröpelingen vorherrschte, ab.  Er befand sich alsbald in psychiatrischer Behandlung, wurde von einer Selbsthilfegruppe mit betreut und besuchte in Bremen das " Cafe Nachtschwärmer " , in dem sich psychisch labile Menschen Abend für Abend, Nacht für Nacht, Woche für Woche trafen.

Über eine weitere, aus diesem Umfeld stammende Mandantin, erhielt ich den Kontakt zu Robert H., den damals noch verheirateten Mofafahrer mit fescher Lederjacke, H. und sie waren damals kurzzeitig ein Paar. Als H. geschieden war, ging auch diese Liäison in die Brüche.

Nun saß also Robert H. an meinem Küchentisch und erzählte mir, dass er ein Schreiben der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg erhalten habe. Er überreichte mir das in einem üblichen, leicht bläulichen Standardumschlag liegende Dokument, auf dem sich bereits Ränder einer Tee - oder Kaffeetasse befanden.

Ich zog den Wisch aus dem Behördenumschlag, klappte das zweifach gefaltete Schreiben auf und las:
" Staatsanwaltschaft......, Hamburg, den..., Geschäftszeichen: ... Js.... 199..., Ermittlungsverfahren       wegen:,,,,, Vergehens gegen das Abfallgesetz pp.... "

Dann weiter:

"  Sehr geehrter Herr H....
    ich führe gegen Sie Ermittlungen wegen eines Verstoßes / Vergehens gegen die oben genannten Vorschriften. Ihnen wird zur Last gelegt, am .... 199... ein Fernsehgerät des Fabrikats..... widerrechtlich ..in der .... Straße, vor dem Hausgrundstück.... abgestellt zu haben. "

Es folgte der übliche Sülz, einer Belehrung, innerhalb derer, die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme eingeräumt wurde. Dann gab es noch ein " Hochachtungsvoll...... - Staatsanwältin ".

" Wo ist der Fernseher her? ", wollte ich von Robert wissen.
" Ich meine, den habe ich in den späteren 1970ern an einen Kumpel verkauft, weil wir uns einen Farbfernseher gekauft hatten. ", antwortete er mir.
Wir? Ja, auch, ja, richtig! Robert H. war ja damals noch verheiratet.

" Weißt Du, wir schreiben der Staatsanwältin einfach, dass Du den alten Fernseher verkauft hast. Dann muss sie das Verfahren einstellen. ", empfahl ich ihm.
Ich trank meinen Kaffee aus, ging mit Robert in das Büro und stellte den PC an. Nach einiger Zeit öffnete sich das " Windows 96 " auf dem " Amstrad " - Ich klickte eine gespeicherte Seite mit meinem Kanzleibogen an und hämmerte auf der robusten tatstur los:

" An die Staatsanwaltschaft..."

Dann folgte der Text:

" In dem Ermittlungsverfahren gegen Herrn Robert H., wohnhaft.... 28... Bremen, zeige ich gemäß anliegender Vollmacht an, dass mich der Beschuldigte mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hat, "

Dann formulierte ich folgende Sätze:

" Es ist zutreffend, dass mein Mandant in der Zeit von Ende 1965 bis Ende der 1970er Jahre Eigentümer des benannten Schwarz - Weiß - Fernsehgerätes war. Mein Mandant hat das Gerät dann verkauft, weil er sich einen Farbfernseher zugelegt hatte. Wie das Altgerät von Bremen nach Hamburg gelangen konnte, entzieht sich indes der Kenntnis meines Mandanten. Da seit dem mehr als 2 1/2  Dekaden vergangen sind, hat mein Mandant selbstverständlich keine Erinnerung an die genauen Verkaufsumstände und den weiteren Verbleib des Geräts. Es mag dahin gestellt bleiben, ob der Käufer damals von Bremen nach Hamburg verzog und das Altgerät mit nahm ".
Dann kam ein wohl entscheidender Satz in runden Klammern ( " Vgl. hierzu: Gottfried Böttger und andere: " Hamburg ´75 " ). Mit frdl. Grüßen..... / Rechtsanwalt ".

Ich druckte das Schreiben aus, ließ mir eine Vollmacht von Herrn H. unterzeichnen und gab dann eine Abschrift dem Mandanten. Der bedankte und verabschiedete sich bald danach. Geld gab´s keines, den Herr H. stotterte immer noch die Raten zu seinem Scheidungsverfahren ab. H. hatte nüscht und weil Herr Robert H. nix besaß, konnte ich von ihm auch kein Honorar für den Brief verlangen; dafür hatte ich knapp 1.000 DM mit seinem Scheidungsverfahren umgesetzt.

Es vergingen einige Wochen im Sommer eines Jahres, kurz nach dem Millennium, als ich ein Schreiben von der Staatsanwaltschaft Hamburg bekam. Die Dezernentin, wohl ein Greenhorn, hatte die Lappalie eingestellt. Gemäß § 170 II Strafprozessordnung.Ich hatte von der werten Frau Kollegin, die im Gegensatz zu mir jedem ;Monat wusste, was auf ihrem Konto an Besoldung aus der R1 - Gruppe einging, nichts anderes erwartet. Bei jeder ungewöhnlichen Einlassung, die ich für den Herrn H. formuliert hatte, musste sie das Verfahren - trotz einer Latte von Vorstrafen - einfach einstellen.

Die Staatsanwältin war bestimmt mit solchen oder ähnlichen Verfahren längst zugeschüttet worden, weil das Umweltrecht und die ihm nahe liegenden Gesetze ständig verändert, verfeinert und damit restriktiver angewandt wurde, Schließlich hatten wir zu jener Zeit eine rot - grüne Bundesregierung.
Damit wurde dem Umweltschutz eine andere Wertigkeit zuerkannt. Richtig so! Aber: Was hat ein uralter, Schrott - Fernseher mit einer Umweltsünde zu tun, wenn dieser in mitten der Großstadt Hamburg abgestellt wird? Er verschandelte oder belastete nicht einmal die Natur. Und dennoch wurde damals ein sehr großer Aufwand getrieben, um einen vermeintlichen Umweltsünder zu ermitteln. Durch die im Fernsehgerät noch vorhandene Fabrikationsnummer wurde der einstige Käufer des Geräts tatsächlich festgestellt. Und der hieß einst Herr Robert H.

Strafrecht ist zumeist auch das Recht gegen Arme, gegen Unwissende oder jenen Teil der Bevölkerung, der nicht das Geld hat, sich einen Strafverteidiger leisten zu können. Oft gelangt dann bei mir der Kampfbegriff Klassenjustiz wieder in den Vordergrund, wenn ich von Verfahren höre oder lese, die gegen gesellschaftlich Gestrandete geführt werden.

Robert H. ist oder war so einer. Er hatte das Glück, dass er bei mir über viele Jahre eine halboffene Tür betreten konnte und ich ihm so einige Male aus der Patsche half. Zudem wollte es der pure Zufall, dass ich ausgerechnet einige Monate zuvor in einer NDR - Fernsehsendung anlässlich des 50. Geburtstags von Gottfried Böttger gesehen hatte, an die ich mich während das Abfassens des Schreibens an die dortige Staatsanwaltschaft erinnerte.
Gottfried Bottger verstarb im Oktober des letzten Jahren im Alter von 67 Jahren an Krebs. Ob Herr Robert H. noch lebt, weiß ich indes nicht mehr, weil der Kontakt zu ihm irgendwann in den frühen Nullerjahren abbrach.

Na, denn: " Gottfried Und Lonzo " - Hamburg ´75










 









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