Des Malers Kunst



In einigen Wochen läuten wir das 30. Nachwendejahr ein. 1989 begann für eine Vielzahl von Ländern in Europa eine andere Zeitrechnung. Was danach in Deutschland geschah, dürfte wohl zu den bewegenden Abläufen der neuen, deutschen Zeitgeschichte gehören.

Während sich Zehntausende mehr oder weniger freiwillig von West - nach Ostdeutschland aufmachten, um dort - unter gütiger Mithilfe der Kohl´schen Chaoten - Truppe in Bonn - mittels satter " Buschzulage " erste Aufbauhilfen zu leisten, gab es aber auch viele, die den neue entstanden Markt nutzten, um ihr betrügerischen Machenschaften in dem Gebiet der einstigen DDR umzusetzen.

Im Jahr 1991 bewarben sich zwei meiner einstigen Kolleg bei der IG Metall um ausgeschriebene Stellen als Gewerkschaftssekretär. Sie landen in Mecklenburg - Vorpommern. Der eine Jurist in Rostock, der andere in Stralsund. Dort bleiben sie für sehr lange Zeit. Ihre gemeinsame Kanzlei gaben die beiden Herren Kollegen aus Achim und umzu auf. Die bis dato noch laufenden Mandate übertrugen sie mir.

Eines davon war ein Strafverfahren gegen einen Mann, der aus Dorfhagen ( Hagen im Bremischen ), in der Nähe von Cuxhaven kam Rainer G. war Maler. Genauer gesagt, er war ein damals zeitgenössischer Maler und Kopist ( https://katalog.historia.de/de/objekte?aid=77&Lstatus=0&accid=132&pagenumber=3&viewmode=list ).

Der Kunstmaler war damals - so meine Erinnerungen - verheiratet gewesen und hatte sich dann scheiden lassen. Er lebte zu Beginn der 1990er Jahre mit einer Lebensgefährtin zusammen. Aus der geschiedenen Ehe gab es allerdings ein Kind. Und G. musste für dieses Unterhalt zahlen.

Doch G. war eben Kunstmaler und als solcher auf Aufträge angewiesen. Die hatte er nicht. Deshalb lebte G. von dem Einkommen seiner Lebensgefährtin. Dieses reichte gerade, um die Miete und die Lebenshaltungskosten zu decken. Doch die Ex - Frau des G. unterstellte diesem Böses. Exakt formuliert: Sie war der - unberechtigten - Auffassung, dass G. sich vor den monatlichen Unterhaltszahlungen für sein Kind drücken wollte.

Sie stellte gegen G. eine Strafanzeige wegen des Verdachts der Unterhaltpflichtverletzung bei der zuständigen Polizeidienststelle ihres Wohnortes und warf damit den dann einsetzenden Mechanismus der Ermittlungsbehörden in Gang. G. wurde zunächst wegen einer vermuteten Straftat bei seiner zuständigen Polizeidienststelle dazu einvernommen. G. gab dort an, er könne zurzeit nicht zahlen, da er kein Geld habe. Doch die Kindesmutter ließ nicht locker.

Deshalb erwirkte die Staatsanwaltschaft ( StA )  Stade bei dem Amtsgericht in Cuxhaven einen Beschlagnahme - und Durchsuchungsbeschluss gegen G. Es sollten Beweismittel, auch Kontoauszüge, sicher gestellt werden, die belegen könnten, dass G. sehr wohl ein ausreichendes Einkommen erhält, um seiner Unterhaltspflicht nachzukommen.

So durchkämmte eines Morgens ein Rollkommando der Polizei die von G. mit bewohnte Wohnung in Dorfhagen. Dabei sahen sich die Beamten auch die Bilder des G. an. Es wurden dann die Kontoauszüge beschlagnahmt, die jedoch dokumentierten, dass G. nichts auf dem Selbigen hatte.

G. war darüber so erbost, dass er sich an den damaligen Kollegen B. wandte. Der forderte die Ermittlungsakte an, kopierte diese und bat G. in sein Büro. Dann geschah über Monate erst einmal gar nichts. B. ging nach Rostock und informierte G., dass dieser sich künftig an mich wenden möge.

Eines Tages rief G. in meinem Büro in der Hastedter Heerstraße in Bremen an und vereinbarte einen Besprechungstermin. Zu diesem erschien er dann in Begleitung seiner aktuellen Lebensgefährtin. Ich bat in in mein Zimmer und fragte zuvor höflich, aber bestimmt, ob seine Begleiterin an dem Gespräch teilnehmen dürfe. Nun,ja, die anwaltlichen Pflichten bei der Berufsausübung waren vormals noch eher streng und der Datenschutz lockerte überall.

So erklärte ich ihm und der anwesenden Lebensabschnittsgefährtin das weitere Prozedere. G. zeigte sich gereizt. Irgendwie erschien er mir damals mit dieser Situation völlig überfordert. Kunst und Strafrecht, innerhalb dessen eine Unterhaltspflichtverletzung nach § 170 des Strafgesetzbuchs ( StGB ) ( https://de.wikipedia.org/wiki/Verletzung_der_Unterhaltspflicht ) zu erklären war, die objektiv zwar eine war, subjektiv betrachtet allerdings den Tatbestand nicht erfüllt, ist selbst für einen Rechtskundigen oft ein schwieriges Unterfangen, wenn der andere Teil - in diesem Fall der Mandant - nur Bahnhof versteht.

Es gelang mir nach einer längeren Zeit dennoch. G. beruhigte sich wieder, nachdem er einige Male mit den Worten " Bei Ihnen wird demnächst wegen Reichtum geschlossen ", seinen Frust über und zu seiner durchaus problematischen Situation, mir gegenüber herum stichelte.

Tja, das Klientel von damals war nicht einfach, aber dafür einfach zu haben, denn es waren überwiegend - und dieses galt insbesondere auch für die übernommenen Mandate des aufgelösten Anwaltsbüros B. & B. in Achim - so genannte " Hungerleider ". G. hatte also nix auf der Naht und damit war auch klar, dass er mir nix zahlen konnte, aber meinen vollen Einsatz verlangte, denn ihm ging der berühmte A... auf Grundeis.

G., der einkommenslose Kunstmaler sollte also Unterhalt leisten, obwohl er dazu nicht in der Lage war. Das war ungerecht. Meinem Sinn von Gerechtigkeit aus dem Blickwinkel eines staatskritisch ausgebildeten Juristen entsprach dieser Fall keineswegs. Also legte mich für G. ins Zeug. Schließlich war er ein noch ärmerer " Willi " als ich. Wer brauchte - so zu Beginn der Nachwendezeit und in der Pop - Großkotz - Ära mit Sparfuchs - Tendenzen - einen Kunstmaler, einen Kopisten dazu? Niemand!

Einen Juristen jedoch mehr denn je, weil Hundestatusende aus dem Gebiet der untergegangenen DDR  heim ins kapitalistische Reich schwärmten, denn es gab hier primär Maloche, Konsum und neue Westautos.
Aber es gab auch die Tücken der damals erneut ins Geschäft kommenden Versandhäuser, die ihre bunten Kataloge in Millionen - Auflage wieder drucken ließen, den Schwestern und Brüdern mit unverschämt hohen Kreditkosten und Zinsen zudem die Kohle aus der Tasche zogen und sie anschließend in die Schuldenfalle galoppieren ließen. Der Advokat hatte alsbald ein reichliches Betätigungsfeld erschlossen, denn es hagelte ( in Abwandelung an den Werbeslogan des " Kaufhof " : " ...bietet tausendfach, alles unter einem Dach! " ) hunderttausendfach gegen " Ossis " / " Wossis " Mahn - und Vollstreckungsbescheide der Versandhäuser von " Otto " über " Quelle " bis hin zu " Heine " und " Klingel ".

Während also das wieder zusammen geführte Deutsche Volk seine kollektiven Konsum - Vereinigungsrausch austobte, brauchte jedoch niemand einen Kunstmaler. Kunst trat in dieser Dekade in den Hintergrund, denn sie war nicht " Aldi ", " Lidl " oder " Penny ". Sie war einfach nur teuer und teuer konnte sich auch der Neudeutsche nicht leisten. Also blieb G. auf seinen wenigen Gemälden sitzen. " Ein vorüber gehendes Phänomen ", sei diese Situation, so schrieb G. der Staatsanwaltschaft in Stade. Die ermittelte indes weiter. Sie wühlte beim Finanzamt herum, durchleuchtete die Finanzlage bei der regionalen Sparkasse und schnüffelte bei der einst Vierten Gewalt, der " Schufa " herum.

Nichts! Keine belastenden Anhaltspunkte für verschleierte Vermögen. Ob es ein Konto in der Schweiz, in Liechtenstein oder auf den Bahamas gab, konnten die Provinz - Ermittler nicht eruieren. Dafür existierten keine internationalen Vereinbarungen. Doch: Selbst wenn es sie gegeben hätte, sie wären auch in der großen, weiten Welt, jenseits der Aller, Weser und Elbe nicht fündig geworden.
G. war die Warhol, nicht Roy Lichtenstein und ein Picasso etc. pp. schon gar nicht. G. war einfach nur ein armer Kunstmaler, den niemand einen Auftrag erteilen wollte.

Das sollte sich ändern. Denn meine damalige Gattin und heutige Ex kam, in einem Anflug ihres üblichen Pferdehuldigungswahns, auf die abnorme Idee, G. seine später geschuldeten Gebühren ( einen Vorschuss habe ich aus Pietätsgründen nicht verlangt ) abarbeiten zu lassen. Also so eine Tauschwirtschaftsvariante anzuwenden. Er sollte ihren Gaul porträtieren. Von dieser Schnapsidee sichtlich begeistert, gab G. ihr gegenüber an, dafür ein einfaches Foto zu benötigen. Das Kunstwerk in Öl, auf Leinwand und in einem über kitschigen Rahmen, sollte alsdann so um die 3.000 ( !!! ) Deutsche Mark kosten.

Mir flog beinahe der " Schönfelder " aus dem " Dodenhof " - Regal; der " Sartorius " tanzte dort Rock `N `Roll und der " Putzo " wurde noch kleiner ( auch ohne Hut ). Dreitausend Tacken? Das war zirka das Zehnfache von dem, was ich von G. bislang an Anwaltsgebühren hätte verlangen können. In völliger Unkenntnis dessen, was tatsächlich als Gegenleistung zu der avisierten Kunst des Malers G. meinerseits stand, wollte die Exe ein Ölgemälde ordern. Ein derartiges Teilkompensationsgeschäft konnte nur aus dem Spatzenhirn einer grenzdebilen Pferdepflaume stammen. Ich bügelte ihr Ansinnen mit einer abschätzigen Handbewegung nach rechts gehend, einfach ab.

Das Thema war somit ein für alle Mal erledigt. Nichts da, mit einem Zossen in Öl gemalt als Kunst im Stall!

Die Tage, Wochen, die Sommermonate vergingen. Nach den Gerichtsferien, die es einst noch gab, die allerdings nicht für Strafverfahren einschlägig waren, flatterte ein Brief der Staatsanwaltschaft Stade ins Büro. Ich hatte zuvor in einigen, wenigen Zeilen, beantragt, das Ermittlungsverfahren gegen Herrn Rainer G. als Beschuldigter wegen des Verdachts auf Unterhaltspflichtverletzung gemäß § 170 StGB aufgrund der gegebenen Sach - und Rechtslage nach § 170 Absatz 2 Satz 1 der Strafprozessordnung ( StPO ) einzustellen.

Der bei der StA Stade sah der zuständige Dezernent dieses auch so. Es lägen keinen konkreten Verdachtsmomente gegen G. vor. Wir führen hierzu in unserem Kauderwelsch aus, dass der " subjektive Tatbestand " - die innere Einstellung des Täters - nicht erfüllt sei.
     
Hocherfreut, dass sich meine - einst noch bescheidenden Strafrechtskenntnisse, die ich größtenteils in den Uni - Veranstaltungen erlangen durfte - gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse der Landjuristen in Stade durchgesetzt hatten, gab ich meiner Azubine den Auftrag, den Einstellungsbescheid aus Stade zusammen mit einem zuvor in das " Philips " - Sülzophon gebrabbelten Anschreiben zu schicken.

Hierin stand:

" Sehr geehrter Herr G...

aus dem in Fotokopie anliegenden Schreiben der Staatsanwaltschaft Stade können Sie ersehen, dass das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung gemäß § 170 II StPO eingestellt worden ist.

Mit freundlichen Grüßen

......  "

Eine Gebührenrechnung sparte ich mir für später auf. Schließlich ergab sich bereits aus den mir bekannt gewordenen Umständen, dass der Kunstmaler G. nichts auf dem Konto hatte und ein Kompensationsgeschäft auch nicht zustande gekommen war.

So ließ ich die Akte einige Wochen im verschließbaren Stahl - Aktenschrank schmoren, obwohl meine Azubine sie mir einige Male als Wiedervorlage mit in den Aktenberg hinein gelegt hatte.
Wo nichts ist, hat nicht nur der Kaiser, sondern auch der Anwalt sein Recht verloren. Oder: Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Die Kunst des Geldverdienens indes lässt sich nicht als Künstler ohne Kunden erlernen.

Es war kurz vor Weihnachten. Eines der nichtssagenden 1990er Jahre nach der Wende nahte sich dem Ende. Die christliche Menschheit war auf Friede, Freude, Geschenke eingestellt. Auch das hanseatische Bremen gab sich in einem weihnachtlichen Flair. Die Innenstadt erhielt einen festlichen, illuminierten Anstrich. Auch die Gesichter der Knippköppe wurden freundlicher. Diese humanistische Grundeinstellung färbt auch auf die Justiz ab. So mancher Richter war nicht mehr krawallig aufgelegt und schon gar nicht die viel zu große Anwaltschaft. Allerdings war es auch dort so, dass kurz vor dem Jahreswechsel der Drang und Zwang, die Aktenschränke auf Altlasten hin zu durchforsten, immanent sein konnte, denn es drohte hier und da die Forderungsverjährung.

Deshalb begab es sich, dass auch ich meinen Zinken in den Stahlschrank hinunter drückte, um dort die Altpapiere, die toxischen Hinterlassenschaften aus den vielen Hundert Fällen, zu überprüfen gedachte. Und dabei kam mir die Akte G. wieder vor die Glupschen. Ich blätterte sie kurz durch. Lange musste ich nicht überlegen, denn die Chose war ja noch beinahe in frischer Erinnerung geblieben. Ich zog die Schwarte aus dem " G " - Fach der Hängeregistratur und schleuderte sie in einem Plastewäschekorb, in dem sich bereits andere Grufties befanden.

Irgendwann danach überwand ich mich dann doch und erstellte eine Gebührenrechnung nach den Vorschriften der ehemaligen " Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung " ( Insiderkürzel: " BRAGO ).
Ich entschloss mich " nur " eine Mittelgebühr für die abgeschlossene Strafrechtssache zu verlangen. Das war sodann nach dem vormals geltenden Vorschriften, nämlich dem § 84 Satz 1 Satz 1 ein so genannter Gebührenrahmen von 40 bis 530 DM. Die Mitte hiervon entsprach also 285 DM. Hinzu kamen noch eine Auslagenpauschale sowie die Kopierkosten plus der Mehrwertsteuer. Ich errechnete
so um die 420 DM. Dann diktierte ich:

" Sehr geehrter Herr G...

für meine Bemühungen in Ihrem abgeschlossenen Strafverfahren wegen des Verdachts der Unterhaltspflichtverletzung darf ich wie folgt abrechnen:

1.....

2....

3....

4.  14 % Mwst. gem......  "

Meine Azubine tippte dann die Abrechnung, die ich unterschrieb und als frankierten Brief in den nahe gelegenen Briefkasten einwarf. Ich wartete einige Tage, es war ein Werktag zwischen dem dritten und vierten Advent. Die Briefpost lag auf dem Tresen des Büros. Der Zusteller hatte sie gerade gebracht. Meine Ex öffnete den Stapel und sortierte ihn nach den Aktenzeichen. Irgendwann kam sie mehr oder weniger erfreut in das Büro. " G... hat bezahlt! ", waren ihre Worte. Ich muss dabei wohl wie ein liegen geblieben Trecker auf dem Rübenacker geglotzt haben. " Wie, er hat bezahlt! ", entgegnete ich ihr. " Na, die Rechnung! ", ergänzte sie,
Ich wollte es nicht glauben und sah mir die " Commerzbank " - Auszüge genauer an. Da war zu lesen: 400 und ein paar zerhackte DM von Frau Y für Rainer G. Es folgte das Aktenzeichen.

Aha, daher weht der Wind. Ich wusste es doch. Die Lebensabschnittsgefährtin hatte die Gebührenrechnung beglichen, denn von G., dem Kunstmaler, hätte ich dieses nicht erwartet.
Die Laune und Arbeitsmotivation stieg bei mir schlagartig. Dann überlegte ich dennoch, warum ein solches Glück nicht auch mir widerfahren kann. Die Kunst des Malers war eben auch, seine Rechnung bezahlen zu lassen. Und dieses ist dann eben auch eine.


" Streetmark " - " Sunny Queen " - " Dry " - 1977:














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