Geschichten aus der Straßenbahn: " Sie heben das hier wieder auf! "



Es war in einem der - dann eher nichtssagenden - 1990er Jahre, die für mich wie in einem Hamsterrad begannen und mit dem jeweiligen Silvesterabend auch endete. Als selbständiger Feld - Wald - und Wiesenanwalt hatte ich mich zunehmend auf Asylrecht eingerichtet. Es gab dazu jede Menge Fälle, demnach auch Arbeit, aber kaum Brot. Während ich in meinem Büro in Bremen - Haststedt in unmittelbarer Nähe einer Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber, die sich einst in der Ludwig - Quidde - Straße befand, eben jene Flüchtlinge aus anderen Ländern Europas und der Welt betreute, gab es aber auch hier und da einen interessanten Familienrechtsfall, der bei mir auf dem von " Möbel Meyerhoff " in Osterholz - Scharmbeck erstandenen Schreibtisch landete.

Eines Tages erhielt ich auch ein Mandat eines im Knast sitzenden Deutschrussen, der dank der Kohl - Jelzin - Kungeleien aus dem ferneren Omsk zurück ins Heim, ins deutsche Heimatland seiner Großeltern geholt wurde, um hier Kohl´s CDU zu wählen. Seine Frau wollte sich scheiden lassen, weil er soff, keine Maloche hatte und es mit Mein und Dein nicht so genau nahm.

Ju. saß in Oslebshausen ( kurz: " Oslebs " ) und brummte dafür ein Strafe von knapp 3 Jahren ab. Nichts besonderes, eigentlich. Wären da nicht noch weitere Ermittlungsverfahren gegen ihn im Hintergrund geführt worden. Ju. bevollmächtigte mich dazu die Akten zu besorgen. Das tat ich dann auch. Mehrere dieser weinroten DIN A4 - Hefter lagen alsbald auf meinem " Meyerhoff " - Schreibtisch. Ich las die vielen Seiten, schrieb auf einem DIN A4 - Blatt jene Seitenzahlen auf, die daraus kopiert werden sollten. Mit der zuvor angelegten Handakte wollte ich wenig später zu dem Mandanten in den Knast fahren.

Einige Tage später setzte ich dieses Vorhaben dann um. Ich nahm eine Straßenbahn der Linie 2 und fuhr von der Malerstraße in Richtung Oslebshausen. Der Zug war nur mäßig besetzt. Da es gegen Mittag war, hatte ich eine der sukzessive in Betrieb genommenen Niederflurbahnen erwischt. Nicht jede später dann ausrangierten, rumpelnden, knirschenden, krachenden, polternden, scheppernden oder um die Kurven kreischenden, ockerfarbenen Züge, die auf dieser Strecke regelmäßig eingesetzt wurden.

Nein, diese Fahrt durfte ich mit einer modernen Straßenbahn erledigen. Einem Niederflurzug, der im einer hell - roten  und mausgrauen Lackierung  mit schwarzen Schriftzügen fuhr. Die Sitze waren bequem und natürlich kaum abgenutzt. Die Züge machten allesamt einen sehr sauberen Eindruck. Und darauf achtete selbstverständlich auch das BSAG - Personal. Eis essen, die Mitnahme von sonstigen Speisen, Getränken und das Abspielen des all gegenwärtigen " Walkman " war untersagt ( verboten ). Da die Straßenbahnfahrer das dort geltende Hausrecht in Form der Allgemeinen Beförderungsbedingungen umsetzen konnten, gab es bei Missachtungen oder Verstößen schon mal einen Rausschmiss oder der Fahrer informierte die Einsatzzentrale und die wiederum die Polizei.

Da saß ich also in einem modernen Zug der Linie 2, las noch in meiner Handakte und wartete darauf, dass mich die Bahn bis zur Endhaltestelle. Meistens ging ich von dort aus die restliche Strecke zu Fuß weiter.

Eigentlich saßen in dem Zug keine besonders auffälligen Fahrgäste. Es war Mittag, die Schulen hatten Schluss. Deshalb saßen einige Schüler in der Bahn. Gut, es war etwas lauter als üblich. Auf der linken Seite, so zirka drei Sitzreihen hinter mir hatten zwei Jugendliche / Schüler einen Zweisitzer vereinnahmt. Auf dem Schoß des Jungen stand eine Plastetüte mit Pistazien. Hieraus griffelten der Schüler und seine neben ihm sitzende Begleiterin hastig die einzelnen Steinfrüchte, drückten die aufgeplatzte Schalen auseinander, führten die darin befindliche Frucht in den Mund und warfen die Schalen auf den Boden.

So ging das Prozedere einige Minuten lang. Unter den Sitzen des Paars hatte sich ein kleiner Haufen mit Schalen angesammelt.

Nach einem Halt sprang der Straßenbahnfahrer plötzlich und wie von einer Tarantel gestochen von seinem Sitz hoch, drückte die halbe Tür seiner Kabine auf und schoss auf das Schülerpaar zu. Dann blaffte er die Beiden mit den Worten an: " Sie heben das hier sofort auf! " Der Junge, so zirka um die 16 / 17 Jahre alt reagierte provozierend kühl.  " Ja, is´in Ordnung! ", antwortete er mit einem leicht süffisanten grinsen. " Sie heben das da auf! ", wiederholte der BSAG - Fahrer seine Aufforderung. Wieder antwortete der junge Mann diesem mit einem " Ja, is´in Ordnung! ". Der Fahrer steigerte seine Lautstärke und forderte ein drittes Mal: " Sie heben das hier wieder auf! "
Auch hierauf reagierte der junge Fahrgast mit: " Ja, is´in Ordnung! "

Der Straßenbahnfahrer gab es auf. Sichtlich geladen stampfte er zu seinem Arbeitsplatz zurück und setzte die Fahrt bis zum Endpunkt, dem Betriebshof in Gröpelingen fort. Das Schülerpaar hatte indes die Bahn zwischenzeitlich verlassen. Die beiden Pistazienschalenhaufen lagen jedoch immer noch unter der Sitzbank.

Sicherlich war der Mitarbeiter der Bremer Straßenbahn AG von der Sache her im Recht. Sicherlich durften die beiden Schüler in der Bahn keine Pistazien essen und schon gar nicht die leeren Schalen auf den Boden werfen. Doch: Warum echauffiert sich ein älterer Straßenbahnfahrer so sehr über diese, wohl auch so gewollte, Provokation eines Fahrgastes, der locker sein Sohn hätte sein können. Vielleicht war es nicht gerade sein Tag? Möglicherweise waren es private Probleme, die sich bei ihm aufgestaut hatten. Oder: Er war selbst Vater eines Sohnes in diesem Alter, der ebenso wenig erzogen war?


" Gruppo 2001 " - " Una Bambina.... Una Donna " - " L´Alba Di Doman " - 1972:






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