Beerentraubenblättertee


Die Arzneiindustrie möchte dem, um sein körperliches Wohlergehen besorgten Menschen, nur allzu oft ihren, zumeist nichts nutzenden, aber dafür überteuerten Ausstoß an Pillen, Tabletten, Flüssigkeiten in allen nur erdenklichen Variationen verkaufen. Das gelingt dank der Gesundheitsindustrie und der Großzügigkeit der niedergelassenen Ärzte in Personalunion mit den viel zu vielen Krankenkassen beinahe immer. Aber im Bereich der vermeintlichen Bagatellerkrankungen, wie Schnupfen, Husten, Heiserkeit weniger erfolgreich. Denn hier muss der leidende Patient, deren Vorstellig werden beim Hausarzt nur dann Sinn macht, wenn er den berühmt - beliebten " Gelben Schein " benötigt, die nichts nutzenden Mittelchen selbst berappen.

Das war vor vielen Jahren noch nicht der Fall. Und so türmten sich in den für Erkältungskrankheiten bekannten Jahreszeiten und Monaten die Patienten in den Arztpraxen regelmäßig an den Montagen bis unter die Flurdecke des Eingangsbereichs. Es wurde lauthals gehustet, geprustet und gerotzt, bis der Arzt / die Ärztin kam.

Als Selbständiger musste ich den " Gelben Schein " nicht unter diesen, kriegsähnlichen Zuständen, bei einem der niedergelassenen Ärzte abholen. Deshalb bin ich, in Kenntnis der daraus folgenden, logischen Konsequenz, mir damit selbst die " gelbe " Krankmeldung auf den mit Handakten voll gemüllten Schreibtisch legen zu dürfen, erst gar nicht zum " Onkel Doktor " gegangen. Entweder biss ich meine damals noch vollständig vorhandenen, blenden weißen und gesunden Zähne zusammen und schleppte mich auch mit Fieber, krächzender Stimme und laufender Zinken in mein Büro. Dort kübelte ich mir dann Liter weise heißen Tee mit Zitrone, heißes Wasser mit Zitrone, ausgepresste Zitrone mit Kandiszucker, Fenchelsaft, Fencheltee oder Honig mit Zwiebelsaft in den Schlund.

Nie waren diese Hausmittel so wertvoll, wie heute, in den Zeiten der kognitiven Vermüllung durch Dauerverblödungsreklame und sinnfreien Informationen sowie Verbrauchersendungen.

Es muss so in den ersten beiden Maiwochen eines der ersten 1980er Jahre gewesen sein als ich mit einem damaligen Bekannten an einem, wohl eher zu kühlen Abend an einem der Tische des vormaligen " Windlicht " in Minden saß und bei alkoholfreien Getränk über alte Zeiten plauderte. Ich hatte mich, der wärmeren Jahreszeit entgegen fiebernd, wohl doch zu luftig gekleidet und saß zudem auf einem knochenharten Plastestuhl ohne Auflage. Dass sollte mir einen Tag später nicht gut bekommen.

Kaum war ich wieder in meinem 19,4 m² - Wohnheimloch angekommen, hatte meine Fressalien von den Eltern in den Kühlschrank verstaut, als ich einen andauernden Harndrang verspürte, obwohl das Ergebnis des anschließenden Wasserlassens nicht nur wenige Tröpchen waren, sondern sich, und das war das eigentlich besorgniserregende, zudem auch noch als blutiger Ausfluss zeigte. Dann bekam ich auch noch so genannten Schüttelfrost und Fieber. Ich dachte, mein letztes Stündchen habe geschlagen.

In meiner Panik schleppte ich mich in den 6 Stock des Hochhauses und klopfte bei einem späteren Studienkollegen an der Tür. Der war - wie erwartet - beim Fernsehglotzen und ließ mich deshalb herein. Ich schilderte ihm mein Anliegen, beschrieb mein Wehwehchen und hoffte auf eine zündende Idee, eine Laien - Diagnose. Doch seine tröstenden Worte lauteten alsbald:
" Au, Alter, da musst´e zum Arzt! "
Doch: An einem späten Sonntagabend hatte - bis auf den Notdienst - keine Praxis geöffnet. Auch in dieser Zeit waren die Damen und Herren Mediziner nicht so selbstlos, als dass sie sich dem qua Eid verbrieften und mehr schlecht als recht bezahlten Beruf, in Gänze hätten hingeben müssen.

Einen Notfalldienstplan kannten weder Lothar G., der mit besorgte Kommilitone, noch ich. Eine Information hierzu über den lokalen " Weser Kurier ", die vormals noch überwiegend eigenständigen " Bremer Nachrichten " oder die CDU - Propaganda - Postille " Weser Report " ( die manchmal in den Briefkästen gelegte Gratis - Werbezeitung wurde mehrheitlich sowie ungelesen in den Schacht der Müllanlage geworfen ) hatten wir nicht; ebenso wenig ein eigenes Telefon, da ein Anschluss über die Deutsche Bundespost satte 200 Deutsche Mark kostete. Das Münztelefon in der ersten Etage war zumeist wegen Vandalismus nicht funktionsfähig; ein einst noch obligatorisch dort beiliegendes Telefonbuch unbrauchbar, da es wie ein gerupftes Huhn aussah.

Wir überlegten also, ob ich mich auf eine Odyssee zu einem Notdienstarzt oder gar in das nahe gelegene St. Josef - Stift an der Schwachhauser Heerstraße begeben sollte. Dann kam Lothar die lebensrettende Idee. Er empfahl mir, den benachbarten Kommilitonen im 9. Stock mit dem zu jener Zeit bekannten Namen Thurau aufzusuchen.
Rolf hatte zunächst ein Zahnmedizinstudium in Kiel angefangen, dann unterbrochen und studierte seit einigen Semestern Ökonomie an der Uni Bremen.
Er kannte sich mit Arzneien und anderen Gedöns bestens aus.

So nahm ich den Fahrstuhl und begab mich drei Etagen höher. Rolf war aber nicht da. In seiner Bude war nichts zu hören.  Ich ging wieder zum Fahrstuhl zurück und wartete auf das Eintreffen der inzwischen nach unten gefahrenen Kabine. Als diese im 9. Stock ankam, die Tür sich öffnete, stand Rolf T. vor mir. " Wolltest Du zu mir? ", fragte er mich ein wenig scherzhaft. " Genau! ", antwortete ich ihm. " Na, denn, komm´mit rein! ", führte er das Gespräch fort.
Er schloss seine Zimmertür auf. Ich betrat eine tip - top aufgeräumte Studentenbude.

Ich erklärte ihm mein Anliegen. Er stellte nur einige, sehr kurze Fragen. Dann war seine Diagnose klar: " Du hast Dir eine Blasenentzündung zugezogen. ", sagte er in einer emotionslosen Stimmlage zu mir. " Nimm Beerentraubenblättertee aus der Apotheke. Ich habe leider keinen mehr da! Fahr´zu der " Horner Apotheke ",beim " Lestra ", die hat heute Notdienst! "
Ich bedanke mich bei ihm, fuhr in meine Butze zurück und zog mir eine dicke Jacke an, obwohl es nicht kalt war. Ich fror dennoch wie ein Schneider und hatte andererseits Schweißperlen auf der Stirn.

Ich schleppte mich zu meinem vor dem Wohnheimturm geparkten R4 und zuckelte gemächlich über den " Hochschulring ", den " Autobahnzubringer Universität " und die " Universitätsallee " bis zum einstigen Bahnüberhang an der " Achterstraße ". Ich hoffte, dass dort die Schranken nicht herunter gestellt waren, denn es hätte einige Zeit gedauert bis der jeweils vorbeifahrende Zug kam. In meinem Zustand nahezu unzumutbar. Ich hatte Glück und rumpelte über die Schienen.

Nach einigen Hundert Metern erreichte ich die Kreuzung " Achterstraße / Riensbergerstraße " und fuhr dann einige zur " Horner Heerstraße ". Dort liegt immer noch, visavis zu der Kreuzung und gegenüber der Postliale auf dem Gelände des " Lestra " - Kauhauses, eine Apotheke. Ich parkte den R4 davor und klingelte mit der so genannten " Nachtglocke ". Kurz darauf erschien ein Mann im weißen Kittel. Augenscheinlich der Apotheker.
" Guten Abend! " Ich erwiderte auch mit " Guten Abend! "
" Bitte! ", schnarrzte er weiter.
" Haben Sie Beerentraubenblättertee? "
" Ja, wieviel darf´s denn sein? Eine 50 oder 100 Gramm - Packung? "
Ich wählte die größere Tüte.

Der Apotheker ging nach hinten und verschwand aus meinem Sichtfeld. Nach einer kurzen Zeit kam er wieder und legte eine weiße Tüte auf eine Nebenfläche. " Macht 2 Mark 15! ", sagte er zu mir. Ich zückte mein Portemonnaie und holte die passenden Münzen heraus, legte diese in einen Schalen ähnlichen Behälter, den der Mann zeitgleich nach vorne geschoben hatte. Der Apotheker zog die Plasteschale zurück, zählte die Münzen ab und legte die Teetüte wieder in den Behälter, den er sofort in meine Richtung drückte.
" Danke! ", gab ich erleichtert zurück.
" Wenn das nach wenigen Tagen nicht hilft, müssen Sie zum Arzt gehen! Regelmäßig, so alle 2 - 3 Stunden frisch aufbrühen und heiß trinken! Gute Besserung! "
Ich antwortete erneut mit einem: " Danke! "

Der Apotheker muss wohl sofort erkannt haben, dass ich wie ein geprügelter Köter unter den Symptomen der Blasenerkältung litt. Sonst hätte er mir nicht den Ratschlag mit dem Arzt erteilt.

Ich fuhr die Strecke zum Mensa - Wohnheim zurück, nahm wieder den Fahrstuhl, weil ich mich so elendig fühlte, dass jeder Schritt eigentlich einer zu viel war, schloss meine Butze auf und brühte mir noch mit dem Parka bekleidet, einen Tee. Ich trank das eher gewöhnungsbedürftig schmeckende Gebräu nach und nach. Dann legte ich mich hin.

Gegen Mitternacht brühte ich eine weitere Kanne mit Tee und trank auch davon mehrere Tassen. Mir ging es deutlich besser. Der Harndrang war vorbei. In dem Urin war kein blutiger Ausfluss und auch die Schüttelfrostanfälle gingen vorüber.

Ich trank auch an den folgenden Tagen noch mehrere Tassen des Wundergemisches, das da " Beerentraubenblättertee " heißt. Danach war meine Blase wieder so, wie sie eigentlich sein sollte.

Vor einigen Monaten stand ich wieder vor einem Apotheker. Es war eine kleinere Apotheke auf dem Darß. Ich verlangte erneut nach dem " Wundertee ". Der Mann, dieses Mal ohne weißen Kittel, erklärte mir freundlich, dass er diesen nicht vorrätig habe, sondern nur einen Extrakt als Tabletten anbieten könne. Ich entschied mich für diese Form. Der Preis war beinahe 8 Mal so hoch, wie einst vor mehr als 38 Jahren. Die Tabletten halfen nur bedingt.

Vor einigen Tagen hörten wir von unserer Tochter, dass sie ähnliche Probleme hatte. Sie erhielt sogar Antibiotika. Die letzte Möglichkeit, um die Beschwerden in den Griff zu bekommen. Ich empfahl ihr " Beerentraubenblättertee ". Sie konnte diesen jedoch in keiner Apotheke bekommen. Wir bestellten über einen Internet - Versandhändler. Die 100 Gramm - Tüte für sagenhafte 3,15 €. Ich schickte den jetzt zugesandten Tee zu unserer Tochter. Wir sprachen die Empfehlung aus, diesen regelmäßig zu trinken.

Der Tee half mir bereits vor Jahrzehnten. Das weiß auch die Pharma - Bande, weshalb sie keinen mehr produziert, sondern nur ihren überteuerten Pillen - und Tablettenquark an die Apotheken weiter gibt, die damit natürlich auch verdienen.

Ab und an sollte der Mensch sich doch zurück besinnen, die Erfahrungen der Generationen davor nutzen und nicht in seinem Fortschrittswahn alles von dort in Frage stellen.

" Beerentraubenblättertee ", oder so ähnlich!


Prince, Tom Petty, Steve Winwood, Jeff Lynne und andere - " While My Guitar Gently Wheeps " - 2004:








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